Monatsarchiv: Oktober 2012

Pen(n)deln


Nach zwei Jahren Abstinenz habe ich mich ungemein auf die Langstreckenpendelei gefreut. In meiner Erinnerung war der Pendlerinnenalltag voller Kleinstabenteuer und verbloggbarer Begegnungen, jetzt, vier Wochen nach Rückkehr von unserer Reise und eine Woche nach Wiedereinstig in die Arbeitswelt, ist nichts davon zu merken. An mangelnder Wiedereingewöhnung kann es nicht liegen, auch wenn wir das Unterwegssein nach wie vor vermissen und uns manchmal sehnsüchtig an die kleinen Erinnerungsstücke und Rituale, die sich in unseren Reisealltag eingeschlichen haben, klammern, sie mit Innigkeit zelebrieren, an den letzten Blättern Klopapier aus Montenegro schnuppern, die Landkarte auf der Suche nach neuen Zielen durchforsten, uns durch die tausend Fotos wühlen, Einkäufe in diverse Währungen umrechnen  und spasseshalber Münzen mit unter die Dusche nehmen. Jedenfalls ist den Bahnfahrten der Gegenwart Spektakuläres fern und ward ich in derselben Situation einst Zeugin von Verlobungen, Scheidungen und Geburten, sitzt mir heute eine nägelkauende Greisin gegenüber. Aus lauter, gähnendster Langeweile sehe ich mich gezwungen zu ergoogeln, ob Nägel Kalzium enthalten und ob Senioren vermehrt an Kalziummangel leiden, wäre das doch ein ziemlich willkommener Nebeneffekt für die ganz offensichtlich passionierte Nägelkauerin. Aber wie das so ist: Wenn das Internet um wichtige Informationen gebeten wird, reagiert es mit Verweigerung oder unzusammenhängenden Behauptungen. Gerne hätte ich der Dame gesagt, dass ich um die Notwendigkeit ihres Tuns weiß und die Umstände, diese normalerweise verpönten Verhaltensweisen, durchaus legitimieren, ähnlich wie Marihuana in besonderen Krankheitsfällen. Sie hätte mich dankbar angelächelt und eifrig weitergeknabbert. Aber so ganz ohne Hintergrundinformationen erschien mir derartige Direktheit doch zu verwegen zumal es mich, nach genaueren Überlegungen, doch etwas verunsicherte, dass es sich bei der Nägelkauerin, wie gesagt, um eine ältere Person handelte, einer Person also, mit potentiellem Kalziummangel, deren Nägel demnach auch nicht eben einen hohen Kalziumgehalt aufweisen, was den Sinn der Nägelkauerei wiederum deutlich schmälert, es sei denn, sie würde die jüngeren Mitreisenden um Erlaubnis bitten ihre, kalziumreicheren, Nägel kauen zu dürfen.
Nun, ich denke, Sie haben verstanden: Ich warte noch immer auf Pendlerinspirationen.

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Eingeordnet unter Neulich, Zügiges

Die Liste der Unvernunft


Wer das Prinzip von Ursache in Wirkung verstanden hat, vermag in aller Regel die Konsequenzen seines Tuns zu erahnen. Handlungen die wenig Sinn und Gewinn, dafür absehbar weitreichende negative Konsequenzen ergeben, werden vermieden. Klingt bestechend logisch, finde ich. Theoretisch. Wenn es da nicht die Dinge gäbe, die ich, wider besseren Wissens und Vernunft, trotzdem tue. Gerade als Mutter tut sich da ein weites Feld auf, angefangen beim kopflosen aufs Spiel setzen des soeben mühsam erkämpften Schlafzustandes der geliebten Brut…

  • Nach Stunden des Ringens um Schlaf und endlich erlangter süsser Schlummerruh den Popel an Kindes Stirn erblicken und ihn aus teils ästhetischen, teils unerfindlichen Gründen weg kratzen. (Wahlweise auch hochgerutschten Pyjamaärmel zurechtzupfen, nachsehen ob der neue Zahn schon durchgebrochen ist oder irgendwas aus- oder anziehen, weil das Kind mit Sicherheit ansonsten erfrieren oder zerfliessen würde.)
  • Dem Kind zeigen wie man ein iPhone oder iPad entsperrt.
  • Essen ein Auto vorbeifahren hören, mit den Kind darüber sprechen und das Geräusch imitieren. (Sie sehen nichts Schlimmes daran? Lassen Sie ihr spinatessendes Kind mal „Brrrrrrrrrrrr!“ sagen.)
  • Sehr spät schlafen gehen. (D.h. Für Frühaufstehereltern nach 21 Uhr)
  • Möbel umstellen.
  • Nachts aus Faulheit nicht pinkeln gehen und mit voller Blase weiter schlafen, oder es zumindest versuchen.
  • Abends Kaffee trinken und/ oder kompensieren was ich ganztags nicht getrunken habe.
  • Weil das kleine Kind sich am Dreirad festklammert und das grosse Kind treuherzigen Blickes um einen Laufradausflug bittet, keinen Buggy mitnehmen, und ab Spazierrundenhälfte motivierende Lieder fürs bockende ältere Kind trällern und ein Dreirad, ein Laufrad, einen Rucksack voller Zwischenverpflegung und ein Kleinstkind tragen.
  • Nach möglichen sportliche Aktivitäten suchen, Ausrüstung dafür kaufen, einmal benützen.
  • Am Abend vor Arbeitstagen die Tasche nicht packen und nicht entscheiden welche Kleider am nächsten Tag getragen werden sollen.
  • Den Kindern zeigen wie lustig es ist, wenn Mutter mit ihnen auf dem Rücken affenzahnend durch den Garten galoppiert. Immer wieder.

Wie sieht Ihre Liste aus?

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Eingeordnet unter Elternsein, Neulich

Begegnungen


Wenn sie in ihr Cornetto con Cioccolata beisst, hält sie sich ihre schlanke linke Hand unter das Kinn um allfällige Krümel aufzufangen. Das ergibt Sinn, denn verständlicherweise möchte sie ihr hellblaues Deuxpiece nicht ruinieren. Mit einem leisen Seufzer schiebt sie den letzten Bissen in den Mund, kaut und wischt sich danach sorgfältig die Krümel von der Bluse. Als sie Äm erblickt, die gerade mit Vehemenz ablehnt, sich wieder zu uns ans Bistrotischchen zu setzten, lächelt sie und winkt ihr zu. Äm rennt zu ihr hin, zeigt auf die passend zu Rock und Jackett gewählten blauen Schuhe und fordert „Ausziehen!“ Ich erhebe mich, um bei allfällig gewaltvoller Schuheroberung seitens Äm eingreifen zu können. Die Dame in Blau spricht Berndeutsch und erkundigt sich nach Äms Alter. Ich antworte, sie kramt eine alte, zerknitterte Karte mit der Darstellung eines herzfischenden Knaben aus der Tasche und zeigt sie Äm. „Ich habe die Karte von meinem Mann bekommen. Er war ein unglaublich charmanter, lustiger und schöner Mann, Arzt und blitzgescheit. Ich hatte solches Glück!“ erzählt sie strahlend und spielt mit der kartenfreien Hand versonnen an ihrem Perlohrring. Ich schlucke, es will mir keine passende Antwort einfallen. Was soll ich auch sagen, so viel tiefe Zufriedenheit und Wehmut in einem Atemzug. Ich nehme Äm hoch und wünsche ihr leise einen schönen Abend, aber sie hört mich nicht, versonnen lächelnd liest sie ihre verbleichte Karte zum wohl tausendsten Mal.

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Eingeordnet unter Begegnungen, Neulich

Von Um- und Fremdplazierungswünschen


Es beginnt jeweils ganz harmlos, ohne die kleinsten Anzeichen aufziehender Gefahr, oft wenn ohnehin Veränderungen anstehen, meist kurz vor Ferienende, gerne auch wenn sich Besuch ankündigt. Herr und Frau Gminggmangg räumen auf, putzen, betrachten ihr Werk, bekunden ihr Glück ob Wohnort und Heim. „Sieht schön aus, so eine aufgeräumte, saubere Wohnung.“ „Stimmt! Weisst du was auch gut aussehen würde?“ Und das ist der Punkt, an dem der Weltfrieden kurzerhand und regelmässig mit Füssen und in weite Ferne getreten wird. Ja, das Gegenüber könnte das Unglück noch abwenden, könnte einfach nicht nachfragen, aber Pandora und so, Sie wissen schon. „Wir tragen einfach das Bett nach oben, nur das, das ist keine grosse Sache und wir hätten wieder ein richtiges Wohnzimmer.“ versuchen wir es uns noch schön zu reden, wohlwissend, dass wir uns belügen. Drei Stunden später wissen wir zwar, dass der Kühlschrank nicht ins Badezimmer passt, es eine Sache der Unmöglichkeit ist, ein volles Bücherregal bücherlawinenfrei einen Stock höher zu verfrachten und dass das Sofa im Büro zur wahrhaftigen Hürde würde, die Wohnung sieht aber aus, als hätte sich eine Horde hyperaktiver Dreijähriger mit massiven Verhaltensauffälligkeiten, destruktiven Verhaltenweisen und unverhältnismässigen Körperkräften ohne Aufsicht ausgetobt, Herr Gminggmangg und ich haben uns je einem Scheidungsanwalt besorgt und die Kinder rufen nach Fremdplazierung.

Aber grämen Sie sich nicht, fürchten Sie sich nicht, oh, verzaget nicht, das Weltenend ward noch immer abgewandt. Bis zur nächsten Einrichtungsumstellungsidee.

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Eingeordnet unter Elternsein, Neulich, Vom Sollen und Tun

Fazit einer Vierteljahresreise mit Kleinkindern


Im Vorfeld gab es einige erstaunte, wenn nicht gar entsetzte Ausrufe, wenn wir von unseren Reiseplänen erzählten. Reisen mit so jungen Kindern erscheint vielen ein all zu beschwerliches Vorhaben. Nach einem Vierteljahr auf Achse mit zwei Kleinkindern kann ich sagen: Sie haben recht. Reisen ist beschwerlich. Reisen mit Kindern ist sehr beschwerlich. Manchmal. Es reist sich anders mit Kindern, so viel ist klar, denn, damit Nerven, Stimmbänder und Ohren aller Beteiligten so weit als möglich geschont werden können, müssen Kompromisse eingegangen, Kindesrhythmen berücksichtigt und manche kulturelle Sehenswürdigkeit zu Gunsten der allgemeinen Hochstimmung ausgelassen werden. Allerdings verspreche ich Ihnen, dass sich, ganz ohne Ihr zutun, alleine durch die Anwesenheit von Kindern, Begegnungen  und Einblicke ergeben, die ohne die Kinder so nie möglich gewesen wären. Ja, grösstenteils ist es unfassbar aufregend, bereichernd, spannend, öffnet Blick und Herz, ist schlicht allerwunderbarst und sofort nachzuahmen. Unbedingt.

Wir danken all den wunderbaren Menschen, die uns bei unserem Vorhaben irgendwie unterstützt haben von ganzem Herzen!

Die Reise in Zahlen:

  • 9968 Km (dazu kämen Strecken unbekannter Längen auf Fähren)
  • 10 Länder
  • 19 Grenzüberquerungen
  • 5 Fährfahrten
  • 75 Übernachtungsplätze, davon 68 Camping- oder Stellplätze, 1 Jugendherberge, 2 Hotels, 2 Appartements, 2 Fähren
  • 4 neue Reifen
  • 2 neue Scheinwerferglühbirnen
  • 1 maschineller Autowaschgang
  • 10 Wäschewaschgänge, davon 2 Handwäschen
  • 6 zusätzliche Zähne
  • 1 Besuch auf dem Notfall
  • 3 Besuche in Autowerkstätten
  • ungefähr 1680 Mückenstiche

Gefundene Gegenstände:

  • 2 hellgrüne Sandschaufeln
  • 1 hellgrüner Sandrechen
  • 1 pinker Öllöu-Kiddi-Sandeimer
  • 2 Wal-Sandförmchen (blau und grün)
  • 1 blaues Elefanten-Sandförmchen
  • 1 grünes Fisch-Sandförmchen
  • 1 gelbe Baggerschaufel
  • 4 Wäscheklammern
  • 1 Volleyball
  • 1 Springball
  • 1 Paar Wasserschuhe
  • 1 Sonnenbrille
  • 1 Plastikdinosaurier
  • 8 Heringe
  • 2 Karabiner
  • 1 Puppenkopf
  • 1 rechter, schwarzer Flip-Flop, Grösse 42
  • 1 Angelzubehör

Verlorene Gegenstände

  • 1 Kinderwagendach
  • >30 Wäscheklammern
  • 2 Heringe
  • 2 Schwimmringe
  • 1 Töpfchen
  • 2 Fläschchen
  • 1 Ball
  • 1 Plastikdinosaurier
  • 1 grüne Sandschaufel
  • 2 Wassermelonen
  • 1 Honigmelone
  • 1 i-Phone
  • 1 Zahnbürste
  • 1 Sonnenbrille
  • 2 Sonnenhüte
  • 1 Schlafsackhülle
  • 2 Kinderunterhosen

Geschenkt bekommen (Kitschkram wie schöne Erfahrungen und innige Momente zähle ich nicht)

  • 1 blaues Auge
  • 2 Halsketten mit blauen Augen
  • 1 Armkette mit blauem Auge
  • 2 Broschen mit blauen Augen
  • 1 Muschelmagnet mit blauem Auge
  • Obst (ganze Melonenrudel)
  • Gemüse
  • Viel zu viele Süssigkeiten
  • 3 Liter Milch
  • 3 Luftballone
  • 2 Kreisel
  • 1 rosa Delfin
  • 1 leuchtoranger Drache
  • 1 barbiedünne Minipuppe mit überdimensionalen Augen und Rosa Haar
  • 1 Frisbee
  • 1 Schleuderspielzeug

Top 5 der eingepackten Gegenstände

  • Frau Fankhauser
  • Wäsche- und/oder Geschirrzuber und/oder Kinderbadewanne
  • Wäschesack mit Wäscheleine (Danke Frau Blomma!)
  • Insektenschutzmittel
  • Europa-Atlas

    Treuer Begleiter, der Europa Atlas

    Treuer Begleiter, der Europa Atlas

Top 5 der eingepackten Gegenstände. Nicht.

  • Grill
  • Wolldecken
  • 2. Paar lange Hose
  • Nagellack
  • Föhn

Top 5 Glücksfälle

  • Mit krankem Kind in der Nähe des grössten Krankenhauses Siziliens landen
  • Platter Reifen neben Autowerkstatt
  • Magendarmprobleme wenn allzeit ein Klo bereit
  • Schlüssel wiederfinden, täglich
  • Keinerlei Autopannen (trotz Autokauf ohne klitzekleinste entsprechende Fachkenntnisse)

    Pannenfreies Daheim

    Pannenfreies Daheim

Top 5 Gegenden

  • Region Ploce, Kroatien
  • Die Troas, Türkei
  • Parco Nationale Cliento e Vallo di Diano
  • Hinterland um Corleone, Sizilien
  • Die Küste Südalbaniens

    Region um Ploce

    Region um Ploce

Top 5 Ortschaften

  • Istanbul
  • Berat
  • Chios Stadt
  • Diverse Dörfer in den Troas
  • Palermo

    Istanbul bei Nacht

    Istanbul bei Nacht

Top 5 Übernachtungsplätze

  • Hafen Chios, Griechenland
  • Berat, neben MiniMarket, Albanien
  • Namenloser Stellplatz in den Troas, Türkei
  • Eraclea Minoa, Sizilien, Italien
  • Murter, Kroatien

    Berat, neben MiniMarket, Albanien

    Berat, neben MiniMarket, Albanien

Top 5 Stellplätze. Nicht.

  • Neben pubertierenden Partypolen
  • Neben besoffener Schulklasse
  • Neben nimmerschliessender Bar mit immergleichem spanischem Partysong
  • Auf inoffiziellem Freikörperkulturanhängerfreiluftklo
  • In erheblich von Überbevölkerung betroffenem Mückenwohngebiet

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Eingeordnet unter Neulich, Reise 2012, Reisen mit Kindern