Serhad sammelt.


Sie ändert ihr Gesicht stets völlig unerwartet, diese Stadt, gerade noch pflügten wir uns durch Touristenströme, vorbei an Führern die farbige Schirme schwenkend ihre weissbesockte Herde im Zaum zu halten versuchen, vorbei an kichernden Westeuropäerinnen, die minimst bekleidet, verschleierte Einheimische seltsam unangebracht kontrastieren, vorbei an Mais-, Marroni- und Pilavverkäufern, vorbei an den Strassenmusikanten mit ihren tanzenden Filzhaarkindern und weit vorbei an der Grenze des Erfassbaren, versuchten wir uns eindrucktrunken ausser Reizüberflutung zu retten und taumelten, eine unscheinbare Treppe runter, mitten in ein Quartier, das so gar nichts mit dem herausgeputzten Pflaster von vorhin zu tun hatte. Es ist ruhig, bedenkt man, dass wir uns mitten in einer Millionenstadt befinden, beinah still, es herrscht kein Verkehr. Hier sind sie noch zu finden, Istanbuls alte osmanisch traditionellen Holzhäuser, windschief zwar, von Geschichte und Generationen gezeichnet, verlottert aber wunderschön und mit dem Stolz der Trotzenden. Auf der Strasse spielen Kinder mit einer offensichtlich erziehungsresistenten Jungziege, während ihre bekopftuchten Mütter uns misstrauisch betrachten. Wie grüssen freundlich und bleiben vor einem besonders zerfallenen Haus stehen. Brandspuren, ein beachtliches Loch in der Fassade, notdürftig mit einer Plastikplane bedeckt, Lebensspuren, dieses Haus hat Geschichte, unübersehbar. Wir stehen, betrachten, erdenken Umstände die zum Jetzt führten und mutmassen, ob es noch bewohnt sei, als die Plastikplane zur Seite geschoben wird. „Merhaba!“ ruft er und winkt uns zu. „Merhaba!“ rufen wir zurück, ein wenig ertappt. „Ihr sprecht Deutsch?“ fragt er und lässt sich mit für sein Alter beachtlicher Anmut durch das Loch auf die Strasse gleiten. „Ja.“ erwidere ich. „Wohnen Sie hier?“ Er heisst Serhad, erzählt von seinem Deutschlandaufenthalt (Sämtliche Türken, die wir trafen waren mal in Deutschland, Österreich oder der Schweiz oder haben dort mindestens einen Onkel.) und lädt uns auf einen Cay in seine Wohnung ein. Durch über die Mauer, durch das Loch, gelangen wir in einen, seinen einzigen bewohnbaren Raum. Es ist düster, denn Strom hat er keinen mehr, wie er erklärt, er koche auf dem alten Holzofen, das reiche und gebe in kalten Nächten erst noch warm. Er bietet uns Stühle an, die ich, mit viel Dankbarkeit um unsere bescheidenen Körpermassen, besetze, reicht uns Tee und nimmt selber dem Bettsofa Platz. Ich mag die türkischen Caygläser, sie schmiegen sich hervorragend in die Hand, Daumen und Mittelfinger reichen um gerade soviel nicht um Glases Hals, dass die Tropfen, die sich nach dem Trinken bilden, ungehindert gen Boden rinnen können. Während sich Herr G. und Serhad unterhalten, ich werde als Frau nicht direkt angesprochen, sehe ich mich um. Der Dielenboden, der, wird er begangen, jedes Gespräch durch sein Knarren unterbricht, ist übersäht mit Dingen die ich zunächst als diverse Anhäufungen zufälliger, alltäglicher Gegenstände wahrnehme. „Ich ordne.“ sagt Serhad, meinem Blick folgend. „Ich ordne, weil ich kann. Was ich kann, ist ordnen.“ Mit zunehmender Gewöhnung an die Dunkelheit, wird mir klarer, wovon er spricht. „Ich ordne und sammle, das habe ich mein Leben lang getan. Erst sammelte ich Wissen, Sprachen, um genau zu sein, dann sammelte ich Probleme, dann sammelte ich Verluste, im Ausland schliesslich ordnete ich Müll, hier ordne ich Altmetall.“ Er weist auf den hölzernen Karren, der durch die halbgeöffnete Plastikplane zu sehen ist. Die Sammler der Stadt sind allgegenwärtig, ihr Ruf nach Altmetall oder ausgedienten Elektrogeräten ebenso Teil des Istanbuler Klangbilds, wie der Ruf der Verkäufer und Muezzine. „Jetzt trenne ich das Altmetall, das ich verkaufen kann, vom Altmetall, das ich nicht wegwerfen kann. Ich sammle für Geld und mich und irgendwann wir hier kein Platz mehr sein.“ Er zeigt auf den metallbedeckten Boden. „Ich behalte was niemand will und ordne nach Farbton. Aber es wird zu viel und irgendwann wird hier kein Platz mehr sein. Für mich. Aber anders kann ich nicht. Ich glaube, der Brand hat endgültig etwas kaputt gemacht. Da oben, meine ich.“ er berührt seine Stirn. „Nicht als es passierte, ich weiss ja nicht mal, wann es passierte. Ich war weg und als ich nach Jahren wieder kam, war da ein Loch. Ein Loch in Allem.“ Wir schweigen, weil es nichts zu sagen gibt. Serhad erwartet Nichts. Nach einigen Minuten bedanken wir uns für den Tee, versprechen ein Wiederkommen bei unserem nächsten Istanbulbesuch. „Mashallah!“ sagt Sherad „Und auf Wiedersehen!“ „Mashallah!“ sagen wir, „Hoffentlich.“

Als wir nach Jahren wiederkommen, steht Sherads Haus nicht mehr, es ist, wie diverse andere Holzhäuser dieses Quartiers, wohl der Stadtbildreinigung zum Opfer gefallen.

Der Sammler, der Ordner

Der Sammler, der Ordner

8 Kommentare

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8 Antworten zu “Serhad sammelt.

  1. Silke W.

    Danke. Sehr. Gibt es Serhad wirklich?

  2. jpr

    Das Haus des Sammlers fortgesammelt. Traurig und doch auch ein wenig passend.

  3. Aurora

    Schöner Text und dann auch noch aus meiner Lieblingsstadt. Danke! Aber *klugsch…modusan* das heißt entweder „mashallah“ – „Geschenk Gottes“ oder (in dem Fall die wahrscheinlichere Variante) „inshAllah“ – „so Gott will“

    • Ich danke für den Hinweis und habe das überflüssige r entfernt. Allerdings bestehe ich auf die „Mashallah“-Variante, zumal ich oftmals selber verwundert war, über den inflationären Gebrauch des Wortes, an Stellen wo ich „Inshallah“ erwartet hätte, insbesondere in Istanbul.

  4. Pingback: Zwischen Tekirdag und Marmaraeleglisi (Türkei) – Istanbul Zentrum – Istanbul Pendik (Tage 26-30) | Gminggmangg

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