Bevor ich Kinder hatte, war ich ganz und gar überzeugt davon, dass meine Kinder die staatliche Schule besuchen werden. Ich war (und bin) überzeugt von der Wichtigkeit milieudurchmischter Klassen und die Selektion, die bereits im Nachdenken über Möglichkeiten zur Privatbeschulung beginnt und erst recht geschieht, wenn es um tatsächlich dafür verfügbare finanzielle Mittel geht, war mir zuwider. Wie elitär der Gedanke schien, die staatliche Beschulung als ungenügend für die eigenen Kinder zu befinden, wie egoistisch damit die natürliche Durchmischung zu torpedieren und damit genau so für die Entstehung der verschrieenen, schlecht durchmischten „Problemschulen“ verantwortlich zu sein, wie die Wegziehenden, desinteressierten Vermieter, Lehrer und Politiker.
Dann kam Ypsilönchen und mir war klar, dass ich nach 5-6 Monaten Mutterschaftsurlaub wieder arbeiten will und auch Herr G. sah sich nicht in der Rolle des Hausmanns. Es galt also, einen geeigneten KiTaplatz zu finden. Alles was uns von der Stadt damals angeboten wurde, hat nicht unseren Erwartungen entsprochen, das Anwesenheitssoll mit 40% zu hoch, die Gruppe zu gross, das Konzept veraltet und das Kind landete, trotz weiterem Weg, in einer privaten Institution. Weil uns alle anderen Möglichkeiten als ungenügend für unser Kind erschien. Weil wir es bezahlen konnten. Y blieb nur ein Jahr in dieser KiTa, einerseits weil sie doch etwas ungünstiger gelegen war, anderseits weil die KiTaleitung in uns sehr fernen politischen Gefilden tätig war. (Ja, es mutet seltsam an, wenn sich die Betreiberin einer privaten KiTa, angrenzend an eine Stadt in der das Kind quasi vor Geburt angemeldet werden muss, um einen Platz zu erhalten, gegen die Mehrschaffung von subventionierten Plätzen ausspricht.) Heute besuchen beide Kinder eine perfekt gelegene KiTa, mit einer kleinen, liebevoll geführten Gruppe, in Wald- und Wiesennähe.
Hierzulande werden Kinder mit 4-5 Jahren in den obligatorischen Kindergarten (Vorschule) eingeschult, der zwei Jahre dauert und Kinder auf den Schulalltag vorbereiten soll. Um zu bestimmen welche Kinder wann eingeschult werden, wir ein Stichdatum festgelegt, das im Sinne der Harmonisierung momentan kantonal vereinheitlicht wird. Stichdatum der heue eingeschulten Kindergartenkinder war der 31. Mai, Ypsilönchens Geburtstag der 21. Mai. Y würde somit eines der jüngsten, wenn nicht das jüngste Kindergartenkind ihrer Klasse sein. Umstände, die uns darüber nachdenken liessen, Y ein Jahr warten zu lassen. (Entsprechende Gesuche werden, bei so jungen Kindern, in der Regel gutgeheissen.) Wir informierten uns über den Kindergarten, voraussichtliche Lehrpersonen und Mitschüler (viele aus dem Quartier, einige aus der KiTa) und zusammen mit Y, die schon seit zwei Jahren davon spricht, endlich in den Kindergarten gehen zu wollen, beschlossen wir, Y regulär einschulen zu lassen. Eine gute Entscheidung, so scheint es momentan, Ypsilönchen liebt den Kindergarten, kann den Weg mit Gleichaltrigen aus dem Quartier zurücklegen und an ihrem KiTatag wird sie zusammen mit den beiden anderen Kindern, die ebenfalls den Kindergarten besuchen, von Praktikantinnen der KiTa zum Kindergarten begleitet und nach Schulschluss wieder in die KiTa geholt.
Der nächste grosse Wechsel steht uns in 1,5 Jahren bevor, wenn Y offiziell in die 1. Klasse übertritt. Lange hat Herr G., ehemaliger Steinerschüler, in vorangehenden Diskussionen die Rolle übernommen, für alternative Beschulung in der Steinerschule zu plädieren, während ich mit der ganzen Anthroposophie gar nichts am Hut hatte und die Vorstellung schrecklich fand, dereinst an gefilzten Elternabenden eurhythmisch unsere Befindlichkeit vortanzen zu müssen. (Polemik? Wo?) Ich ging zwar davon aus, dass der Besuch in einer staatlichen Schule nicht für alle Kinder vorteilhaft ist, sprach mich aber stets dafür aus, unsere Kinder zumindest versuchsweise regulär zur Schule zu schicken und nach Bedarf bei Unstimmigkeit zu reagieren. Nicht, weil für mich private Beschulung nur letztes Mittel war, sondern weil mich keines der nahen Angebote als Option befriedigte. Die Montessorischule kann nur bis zum 6. Schuljahr besucht werden, die Waldorfschule war mir zu, nun, das habe ich schon ausgeführt, die Musische Schule war zu unfassbar, irgendeine religiöse Institution kam nicht in Frage und so blieb die staatliche Schule, wenn auch weit von meinen Vorstellungen eines Ideals entfernt, vorerst erste Wahl. Nach der Geburt von Ypsilönchen und vor der Geburt von Äm wechselte ich meine Arbeitsstelle Richtung Wohnortnähe, nahm ein Pensum als Intergrationslehrkraft an, begleitete regelbeschulte Kinder (3.-6. Klasse) mit Anspruch auf heilpädagogische Unterstützung stundenweise in ihren Klassen und erhielt damit erstmals seit meiner eigenen Schulzeit wieder eingehenderen Einblick in den Alltag der staatlichen Grundschule. Zu Schuljahresbeginn wurde den Schülern der diversen Klassen, wie so üblich, verschiedene, relativ inhaltslose Kennenlernspiele auf- und Steckbriefe vorgelegt, aber auch die zukunftsgerichtete Frage nach Wünschen fürs nächste Schuljahr gestellt. In Erwartung fantasievoller Naturkunde- und Geschichtsthemenvorschlägen, abenteuerlicher Schulreiseideen und Turnstundenvorschlägen, befremdeten mich die tatsächlich ausformulierten Wünsche der Schüler massiv: Anstatt Piratengeschichten wünschten sie sich Selbstverbesserung in Rechtschreibung. Anstatt eine Schulreise zum Abenteuerspielplatz wünschten sie sich bessere Mathematiknoten. Anstatt mehr Mannschaftsspiele im Sport wünschten sie sich den sekundarschulübertrittbegünstigendes Zeugnis fürs übernächste Schuljahr. Es mag an meinem heilpädagogisch plüschflauschigen Hintergrund liegen, aber die Leistungsbezogenheit neunjähriger Staatsschüler/innen erschreckte mich in diesem Moment enorm und erstmals kam der Gedanke auf, dass ich dies meinen eigenen Kindern nicht zumuten möchte. Der Eindruck, dass der Leistungsdruck in der Staatsschule ungemein früh und intensiv beginnt, hat mich auch nach zwei Jahren der Integrationsarbeit nicht verlassen und war kein unwesentlicher Grund für meine Kündigung und Rückkehr zum Unterrichten an der Sonderschule. Seither wälze ich Ideen, Schulformen und Institutionskonzepte und bin imgrunde und bezüglich der Optionen am gleichen Ort, wie vor meinem neuerlichen Ausflug in die Staatsschulwelt, mit dem Unterschied, dass ich, sofern irgendwie möglich, eine alternative Beschulungsform für meine Kinder bevorzugen würde. Allerdings komme ich langsam unter Entscheidungsdruck, denn schlussendlich bin ich die, die Alternativen zur Staats- oder Steinerschule suchen muss, für Herrn Gs Präferenzen sind klar. Ich setze mich also mit der Antroposophie und ihrem konkreten Einfluss auf den Unterricht an der Steinerschule auseinander und habe mich zu Gesprächen mit Seinerpädagogen verabredet. Das Allerletzte was ich möchte, ist mich (samt Kindern) wieder (siehe hier: (Nicht) Glauben und (Nicht) Glauben 2) in ein spirituell dogmatisches Umfeld begeben. Wobei ich anderseits weiss, wie sehr Y (bei Äm vermag ich es noch nicht zu sagen) wohl die musische Gewichtung im Unterricht entsprechen würde und mit derartigen Gedankengängen sofort die Frage auftaucht, ob ich einem Kind Zugänge verwehren soll, nur weil ich, nachhaltig von meiner Kindheit geprägt, sofort mit Widerstand reagiere, wenn mir jemand mit Spiritualität oder Religion kommt. Positiv beeindrucken mich jedoch die vielen klugen, gänzlich anthroposophiedogmenfreien ehemaligen Steinerschüler um mich herum, die überzeugt davon sind, ihre Kinder dereinst auch in der Waldorfschule einschulen zu wollen und ich tröste mich mit dem Gedanken, zumindest ausgiebig darüber bloggen zu können. Sie sehen, ich bin hin und her gerissen und lasse das an Ihnen aus. Und das letzte Wort ist hier noch lange nicht getanzt.
Adventbloggen im Jahre 2012: 3. Dezember