Tagesarchiv: Januar 26, 2014

Wenn ICH alt bin, mein Kind


Allenthalben werden Alterspläne geschmiedet, dies ist meiner:

Wenn ich alt bin, mein Kind, muss ich nicht mehr wollen, können oder tun und wenn ich muss, selbst nachts, dann spielt es keine Rolle, welche Farbe die Wolken haben, denn ich habe sie alle gesehen, die Wolkenfarben, ohne dass ich sie je hätte suchen müssen oder auf sie warten, wenn ich nachts also muss, muss ich nur müssen und danach den Klodeckel wieder schliessen. Wenn ich danach nicht wieder einschlafen kann, öffne ich die hintersten, verstaubten Erinnerungskisten, krame in der Schachtel mit Weggabelungen und ordne sie nach Grösse. Und wenn ich dann senil aus Betten flüchte, ist mir das egal, ich mach mir Tee oder starken Kaffee und sehe euch lächelnd zu, wie ihr euch aus den Federn quält, aus Schlafanzügen schält, ich sehe euren ersten Blick in den Spiegel, ich sehe wie er euch anlügt, wie er euch Ungenügen zeigt und ich sehe euch, wie ihr ihm glaubt, euch aus menschlichen Formen vergeblich in Perfektionismus zupft, überflüssiges Gesichtshaar rupft, wohlwissend, dass in nicht zu ferner Zeit, wenn alles gut läuft, der Spiegel euch sagen wird, was ihr heute für leere Phrasen haltet: Dass Schönheit von innen kommt, kein festes Schema kennt und nichts mit der Absenz von Makeln zu tun hat. Und ich stelle kichernd fest, wie hilfreich die Fähigkeit ist, Unerreichbarem die Bedeutsamkeit wegzudenken, wie wohlig sie sich mit den neuen Wichtigkeiten ergänzt und passgenau jede Ritze meiner faltigen Seele füllt. Und im Moment, in dem sich die Türen des ersten Busses hinter euch schliessen, ihr habt mich nicht winken sehen, fällt mein Blick auf die geschrumpften Götter der Vergangenheit, wie sie da, klein und verspinnwebt, im Setzkasten stehen. Da ist sie ja, die Makellosigkeit! Behutsam nehme ich sie aus dem Kasten, puste sie staubfrei, betrachte sie ein wenig, gedenke der Opfer, die ich ihr einst dargebracht, und stelle sie liebevoll an ihren Platz, zwischen Jesus und Ansehen, zurück. Fast fühlt es sich an wie Glück, sie so klein zu wissen und skrupellos nicht zu vermissen. Und draussen zieht ihr nun gen Schule los oder bringt eure Kinder in ihre Gärten und Krippen, ich winke euch wieder und werde gesehen, stets von den selben, von trödelnden Liesen, luftfixierten Hansen und denen, bei denen die Pünktlichkeit und Ansehen schon geschrumpft im Setzkasten stehen. Und wenn der Postbote Botschaften einwirft, schiebe ich das Holen nicht auf, überhaupt prokrastiniere ich nicht mehr, allerhöchstens noch den Tod, nur ein wenig jedenfalls, bis zur nächsten Reise in ferne Kontinente, vielleicht, oder bis zum nächsten Urlaub im Nachbarland, vielleicht, oder bist zu dieser Dokumentation über Kasachstan, nächsten Donnerstag, vielleicht, sicher aber bis ich den Briefkasten geleert und seinen Inhalt sortiert habe, aber das reicht. Ich ordne zu Stapeln was mir ward gesendet, manches staple ich zu Türmen, manches aber endet auch einfach im Kamin. Und wenn ich dann die Zeitung finde, trage ich sie zum Küchentisch, mach ich mir Kaffee oder starken Tee und lese von dem, was ihr da so macht, von warmen und kalten Konflikten und Macht und davon wie das was ich für Gestern hielt urplötzlich zu Geschichte wird und seine Gültigkeit endgültig verliert. Das tut mir nicht weh, ich will nicht zurück, ich kenne den Klang berstender Utopien und Weltbilder in Schieflage verstören mich nicht. Mein grüner Daumen lässt Keime wachsen, ob sie nun Feldsalat oder Hoffnung werden. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich Weltbilder golden rahme, zur Erinnerung an die Wand, neben all die vergilbten Weltbilder vergangener Tage hänge und mit Abstand betrachte. Während euch die Mittagsglocken nach hause rufen, lege ich mich hin zum Schlummern, träum’ mich zurück in frühere Zeiten, von Höhepunkt zu Sensation, und klammer aus das Kummern, die Alben in Träumen sind längst verbannt, mir ist, als hätte ich sie nur flüchtig gekannt. Und wenn ich erwache, wenn ich erwache, erwache ich weil ich es will und erst, wenn ihr schon alle beim Abendbrot sitzt oder wenn meine Kinder mir skypen aus Weltenweiten, die sie bereisen, weil anders kennen sie es nicht, denn sie wurden wie ich, mit Fernwehen geboren. Das muss wohl so sein, vielleicht, wir müssen reisen, vielleicht und vielleicht sind wir die, die die Weggabelungen, Götter und Weltbilder, die heute unsere Kisten, Setzkästen und Wände füllen, daheim nicht gefunden hätten. Wenn ihr dann all eure Verpflichtungen selig schlummernd wisst oder ahnt oder zumindest hofft, euch in Nachtgewändern des Perfektionismus entledigt, nur für die Nacht und so gut es eben geht, mach ich mir Tee oder starken Kaffee und sehe euch lächelnd dabei zu.

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