Das Meer ruft. Heute machen wir uns auf, die Bulgarische Schwarzmeerküste aufzusuchen. Das ist zwar ein ordentliches Stück Weg, aber, da grösstenteils über Autobahnen, gut zu bewältigen. Der Nachteil vom Autobahnfahren ist allerdings, dass wir dabei nicht wirklich viel vom Land sehen. Das erste Wegstück führt uns aus der bulgarischen Pampa Richtung Sofia, über Strassen in ziemlich grenzwertigem Zustand, durch etwas grau und trostlos anmutende Kleindörfer. Niedrige einstöckige und vor allem renovierungsbedürftige Bauten, Schotterpisten jenseits der schlaglöcherdurchzogenen Hauptstrassen, Strassenhunde, aber auch offensichtlich gut gehegte Gärten mit grosszügigem Gemüseanbau prägt hier das Dorfbild. Die Pflege der Gärten scheint ausschliesslich buckligen Greisinen mit Kopftuch und knorrigem Stock zu unterliegen. Schulferienbedingt unterbeschäftigte Kinder ziehen in Gruppen um die Häuser und die Männer sitzen palavernd auf Mauern und Bänken. Insgesamt scheint dies hier eine der ärmeren Gegenden Bulgariens zu sein, vielleicht mit hoher Arbeitslosenquote, wobei ich nicht beurteilen kann, ob die Menschen hier deswegen, oder im Zusammenhang mit den Schulferien fast alle im Dorf zu sein scheinen. Vielleicht ist es auch das graue Wetter, das der ganzen Szene heute einen tristen Abstrich gibt und bei freundlicherem Wetter würde ich hier von buntem Dorfleben schreiben. Ich weiss es nicht. Ausserhalb der Dörfer sind immer wieder ärmliche Siedlungen aus Wohnwagen und wellblechbedeckten Baracken zu entdecken, deren Bewohner ich Angehörigen der Roma zuordnen würde. Wie eigentlich überall, scheinen sie auch hier zu denen zu gehören, die am häufigsten von Armut betroffen sind. Je weiter wir gen Sofia gelangen, desto grösser werden die Häuser, Autos und desto besser werden die Strassen. Sofia selber umfahren wir und folgen von da an der Autobahn, an unheimlich weiten, gelben Sonnenblumenfeldern und Wiesen vorbei bis nach Burgas. Immer wieder treffen wir auf riesige Storchschwärme und einmal fahren wir derart nah unter einem der imposanten Vögel vorbei, dass man die Flügel schlagen hört und man beinah meinen könnte, dass ein ausgestreckter Arm reichen würde, um ihm den Bauch zu kraulen. Bei Burgas sehen wir endlich wieder das Meer, die Schwarzmeerküste, die Kinder jubeln und würden sich am liebsten bereits in der Industriezone durch die Abwasser plantschen. Dank Kindersicherung und etwas Überzeugungsarbeit halten wir alle im Gefährten bis wir nach Sozopol gelangen. Sozopol wird in einschlägigen Reiseführern als Highlight angepriesen, ist aber einfach ein ziemlich überfülltes Touristenkaff. Auf einem Campingplatz etwas ausserhalb suchen wir uns trotzdem einen Platz, die Kinder sind fahrmüde und es ist bereits später Nachmittag. Auf einem kleinen, familienbetriebenen Platz weist man uns schliesslich ein Plätzchen, umgeben von einer bulgarischen Grossfamilie zu, die uns sofort mit offenen Armen empfängt. Acht Euro kostet uns hier die Übernachtung alles in allem und wir beschliessen hier einen Ruhetag einzulegen. Wir schaffen es erst nach Eindunkeln zum Strand, was nichts an der kindlichen Freude am Meerwiedersehen ändert. Um uns herum ist man bis spät in die Nacht in Gespräche vertieft, unsere Kinder flanieren durch das bulgarische Kleinstdorf auf rädern, werden hier bewunken, da mit Handküsschen beworfen und fallen hernach in tiefen Schlaf.
Geweckt werden wir von himmlisch süssem Duft nach Ausgebackenem, denn unsere Nachbarin frittiert gerade kleine Küchlein über einer Gasflasche. Verschlafen setzen wir uns an unseren Tisch und betrachten etwas unmotiviert unser Müsli, als die personifizierte Bulgarische Mutter und eine Teller mit den mittlerweile schokoladenbestrichenen Köstlichkeiten hinstellt und uns gestisch zum Essen auffordert. Leider habe ich nicht herausgefunden, wie die Küchlein heissen, aber sie schmecken erheblich nach Perfektion. Wir verbringen einen wunderbaren, bulgarischen Tag, zu Mittag wird uns Suppe gerreicht und auch unser Einkauf wird geführt und begleitet. Hier wird nicht ein schnöder Supermarkt besucht, man führt uns von bunkerähnlichem Gebäude zu Lagerhallen, jeder Ort führt seine spezifischen Angebote. Unser Führer, normalerweise Patrouillen-Polizist, will dabei sein und erklär uns den Unterschied zwischen seiner Arbeit und der der Verkehrspolizisten. „Korruption“, meint er, „ist ein Thema, das vorallem von Verkehrspolizisten ausgeht, aber das weiss hier jeder, man ist hier entsprechend vorsichtig.“ Von Sozpol, dem Touristenort, hält er nicht viel, viel mehr ist ihm nicht über das Leben in Bulgarien zu entlocken.
Nachtrag: Kurz nach einem reichhaltigen Mahl in der nahegelegenen Gaststätte und nach dem sich die Kinder zu Bett verabschiedet haben, werden wir zum Nachbarsplatz gewunken. Man schiebt uns auf einen Stuhl, vor leere Teller und beginnt damit, diese zu füllen. Wir unterhalten uns in einer Mischung aus Gebärden und Englisch, über kulturelle Unterschiede, über die EU, über die Rolle der Frau und über nationale Essgewohnheiten, während die Damen des Tisches meine Essensverneinung in einen spezifischen Essenswunsch umzudeuten versuchen. Wir sprechen hier nicht von harmlosem Nachfragen, wir reden hier von beispielloser Hartnäckigkeit, der selbst intensive Gespräche keinen Abbruch tun. Zwischen dem Bild von Bulgarien im Ausland und ihren Schilderungen der Massnahmen, die sie brauchen, um sich daheim sicher zu fühlen (scharfe Hunde, Waffen) wird mir Wurst angeboten. Nach ihren kritischen Worten zur EU und der Ausformulierten Missbilligung der zu zukunftsgerichteten Politik, bei der das Volk von heute vergessen werde, wird mir Kartoffelsalat gereicht. Meine Frage, wie viele bulgarische Frauen außerhalb des Haushaltes arbeiten, wird lachend mit „Die, deren Männer nicht genug verdienen, also viele und lieber ein, als zwei Jobs.“ beantwortet, während man mir Kabissalat schmackhaft zu machen versucht. Beim Thema Behinderung und Sonderbeschulung werden mir Früchte aufgetischt. Und als wir zum Ende des Abends hin über die Frage des Glücklichseins und dessen Voraussetzungen kommen, werde ich gar nicht mehr gefragt, ein gigantisches Stück Süssggebäck undefinierbarer Konsistenz und Inhalte wird mir mit eindeutig mimisch-gestischer Aufforderung auf den Teller gelegt. Ich kapituliere.
Bemerknisse
Man mag hier in Dörfern gerne verkehrsgeschwindigkeitsreduzierende Hinternisse, wie diese künstlichen, geteerten oder gummierten Bodenwellen, auch wenn bei all den Schlaglöchern nicht entfernt an eine Geschwindigkeit über 25 zu denken ist.
Frittieren kann man alles und überall, auch auf dem Campingplatz.
Bulgarische Kinder scheinen erheblich gefährdet zu sein, spontan zu unterzuckern oder zu verhungern, Ablehnung von Essen kann auf Hungerstreiks mit suizidalen Absichten gedeutet und muss unter Einsatz aller Überzeugungs- und Bezirzungskraft verhindert werden.
Falls Sie dereinst direkt nach dem Essen, bereits völlig übersättigt, zu einem bulgarischen Tisch geladen werden und aus Interesse an der Gesellschaft zusagen, dann nehmen Sie sich um Himmelswillen folgenden Rat zu Herzen: Essen Sie das Erstbeste, was Sie gerade noch so einverleibt kriegen, denn sonst, ich zitiere, „machen die Essverantwortlichen sich den ganzen Abend über Gedanken, was Sie gerne essen wollen“, bringen immer neue Speisen, bis Sie am Ende, der Gesundheit der kurz vor Nervenzusammenbruch stehenden bulgarischen Gastgeberin zuliebe, Dinge essen, die Sie selbst mit Hunger lieber verschmäht hätten.
Wer schon länger mitliest und über ein gutes Zweijahrelangzweitgedächtnis verfügt: Erinnern sie sich an Alexandropuli und daran, dass Herr G. mich nötigte unter den Bemerknissen festzuhalten, dass er Wodka-Zitrone trinke wie ein Grieche? Ich soll Ihnen auch sagen, er trinke Raki wie ein Bulgare.
Das Bild der Tischgesellschaft ist so toll! Ich erinnere mich an viele solche abendlichen Runden, die ich als Kind mit meinen Eltern unterwegs erleben durfte. Gute Reise weiterhin, schönes Wetter und nette Menschen mögen euch begegnen!
Vielen Dank, schön zu kesen, dass diese Erinnerungen hängen bleiben!
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