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Gelebte Besinnlichkeit (15. Dezember)


„Maria durch den Dornwaaahaaald giiing Kürie heil Soooooohn! Nananaaananaaanananaaanananananaaanananananaaananana, Jesus und Mariihaa!“ schallte es aus dem Kinderzimmer und fünf Minuten später überreichte mir die grosse Tochter einen Umschlag, „Das muss ich lernen, fürs Weihnachtsspiel. Soll ich dir sagen, was ich schon kann?“, fragte sie erwartungsvoll. Ich nickte. „Gottes Wille habe ich wohl vernommen und sage darum in Demut Ja. Und dann kommen so Engel und so, wie der Herzengel Michael und so und die bewachen dann Maria und Jesus, äh, Josef und dann kommt Jesus und dann müssen wir noch sagen: Oh nimm mein Herz und lass mein Denken lichtvoll sein. Weil Jesus ja so ein kluger ist und so.“ Gottes Wille, Demut, lichtvolles Denken, wenn das Herz an den klugen Jesus abgegeben wird… Ich schluckte leer. Wäre ich in diesem Moment meinem ersten Impuls gefolgt, hätte ich zu einer Schimpftirade gen Lehrerin angesetzt, ich hätte abgewertet, was die Tochter soeben rezitiert hatte, ich hätte von einem rachsüchtigen Gottesbild erzählt, von als einzige Wahrheit präsentierten Ideologien, von damit verbundenen Ängsten, von irrationalen Weltentstehungsideen und von Ungerechtigkeit und Diskriminierung. Statt dessen atmete ich einmal tief ein und besann mich. Denn, abgesehen von der Tatsache, dass ich eine Sechsjährige damit massiv überfordert hätte, galt es erstmal, das Erleben meiner Tochter, vom meinem Erleben in meiner Kindheit zu trennen. (Dazu habe ich HIER und HIER schon etwas geschrieben.) Mein Kind begegnet nicht dem gleichen Gott, nicht dem gleichen Jesus, wie ich als Kind begegnet bin und meinem Kind wird diese Idee auch nicht als die einzig wahre präsentiert. Mein Tochter hat eine kulturell nicht ganz unwichtige Geschichte gehört, wie es auch Rotkäppchen gehört hat, oder die Bremer Stadtmusikanten, nur dafür zu sorgen, dass es wirklich nur das daraus macht, was es machen will, ist meine Aufgabe. (Und für den Fall, dass irgend jemand den Kindern irgendeine vorgefertigte Wahrheit verkaufen möchte, habe ich die verschluckte Schimpftirade fein abgespeichert und kann sie bei Bedarf in diversen Lautstärken und Intonationen an geeigneter Adresse wiedergeben.) Ich bin also auch irgendwie besinnlich um diese Zeit des Jahres, ich besinne mich darauf, meine Geschichte, nicht mit der meiner Kinder zu verwechseln. Glo-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-ria.

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(Nicht) Glauben, 2. Teil


Ich habe vor einiger Zeit hier in einem Artikel über meine Erfahrungen mit Glauben, Religion, in Verbindung mit meiner Kindheit geschrieben. Es erfolgten diverse Reaktionen, von denen einige mich ungemein berührten. Einigen schien die Kommentarfunktion im Blog, verständlicherweise, zu öffentlich, und so erhielt ich lange, eindrückliche Erfahrungsberichte per Mail, die sich, obwohl zumindest in einem Fall einer völlig anderen religiösen Richtung entstammend, mit meiner Geschichte deckten. Ausserdem erhielt ich elektronische Post von meiner Familie, beziehungsweise den Angehörigen der religiösen Gemeinschaft, die meine Kindheit so nachhaltig geprägt hat. Insgesamt wurden viele Fragen gestellt, die meisten nahmen Bezug auf unseren Alltag in einem christlich geprägten Land und den Umgang mit christlichen Werten, Normen und Vorstellungen. Neben Fragen erhielt ich das Skript einer Predigt, die, offenbar kurz nach meinem Artikel hier, in der freikirchlichen Gemeinschaft in der ich aufgewachsen bin gehalten wurde. Die Fragen, die gestellt wurden, bereiteten mir keine Probleme, Fragen kann ich beantworten und wenn es nur ein simples „Ich weiss es nicht.“ ist. Grosse Schwierigkeiten hatte ich damit, auf die erwähnte Predigt einzugehen, die zwar liebevoll und wertschätzend beginnt, aber schlussendlich doch genau da endet, wo ich meine Abgrenzung begründe, genau da nämlich, wo das selbständige Erdenken von Zusammenhängen und gefühlter Wirklichkeit als falsch und gefährlich bezeichnet wird. Ich schrieb flammende Antworttexte über den „unfreien Willen“, über die Unmöglichkeit des Auschlusses anderer Weltbildentwürfe und füllte Seiten mit Begründungen, warum ich so nicht glauben kann und will (Dabei habe ich das Wesentliche doch schon im ersten Artikel ausformuliert.). Bis mir klar wurde, dass dieses Vorgehen nicht mein Weg der Antwort sein kann. Glauben ist per Definition eine Wahrscheinlichkeitsvermutung. Der Glaube wie er aber in Zusammenhang mit Religion auftritt, ist mehr, es ist gefühltes, inkorporiertes Wissen und jede Kritik die ich an ihm übe, übe ich an meinem Gegenüber persönlich. Ich will nicht begründen, warum ich etwas nicht glaube, ich will nicht die Glaubensansätze anderer Menschen zerpflücken, damit bin ich niemandem dienlich, auch nicht mir selber. Ich lasse also stehen und beantworte Fragen:

„Ist es wirklich richtig, den Kindern nichts vom christlichen kulturellen Hintergrund mitzugeben, wo doch in unserer Gesellschaft die Werte und Normen gerade daraus entstanden sind? Es sind Werte wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung.“

Ob es richtig wäre? Ich weiss es nicht, das ist keine Frage, die ich mir so stelle, impliziert sie doch ein Falsch und in Bezug auf diese Fragen empfinde ich derartige Schwarz-Weiss-Unterteilungen als wenig konstruktiv. Neben der Frage, wie berechtigt ein Anspruch auf ein Patent für Werte sein kann, finde ich gerade den Aspekt der Gleichberechtigung in dieser Aufzählung spannend. Ist das nicht gerade der Aspekt, der, beispielsweise in Bezug auf Homosexualität und Heirat, GEGEN christlich konservativen Kreisen verteidigt werden muss? Für mich ist deshalb klar, dass ich Werte, woher auch immer sie stammen, manchmal von ihrer vermeintlichen Quelle trennen muss, denn ja, das Christentum hat ebenso Gutes gebracht, wie es auch Dinge gebracht hat, von denen ich mich klar distanzieren möchte.

Aber zu meiner Antwort: Ich halte es für gänzlich unmöglich, den Kindern nichts von dem mitzugeben, was hier als christlich kultureller Hintergrund bezeichnet wird. Davon abgesehen, habe ich dieser Frage im vorangegangenen Text einen ganzen Abschnitt gewidmet:

  • Ich versuche, im Rahmen meiner Fehlbar- und Möglichkeiten die Prinzipien der Gleichberechtigung, Achtsamkeit, Toleranz und Respekt vorzuleben und in Situationen in denen ich Gegenteiliges sehe, klar Stellung zu beziehen.
  • Ich dränge meine (nicht)religiösen und (nicht)spirituellen Ansichten nicht auf und erkläre nur, wenn ich danach gefragt werde, dann dafür altersentsprechend ausführlich und klar, in der Hoffnung, die Kinder mögen sich ich ihre Gedanken selber machen und zu für sie stimmigen Schlüssen kommen.
  • Fragen in Bezug auf die diversen (nicht)religiösen und (nicht)spirituellen Strömungen beantworte ich wenn möglich und so wertfrei als möglich. Es gibt mehr als nur eine Möglichkeit der Weltanschauung und jede Option (auch und gerade unser Lebensentwurf) darf und muss hinterfragt werden.
  • Christliche Feste und Feiertage begehen wir ohne religiösen Kontext, erklären ihn aber nach Bedarf und nehmen uns die Bräuche und Brauchteile, die wir gerne weitergeben würden.

Selbstredend werden meine Kinder also den christlichen Hintergrund unseres Landes kennenlernen, sowohl zwangsläufig, beim simplen Leben, als auch bei Fragen, die zweifellos noch kommen werden.

„Wie erklärst du deinen Kindern, wie die Welt entstanden ist? Woher kommt der Mensch?“

Ich erkläre meinen Kindern in erster Linie den wissenschaftlichen Ansatz von Urknall und Evolution, gerne aber auch davon, dass andere Menschen andere Dinge glauben und diese sich teilweise nicht mal gegenseitig ausschliessen.

„Was erzählst du deinen Kindern, wenn sie fragen: „Was passiert, wenn wir sterben?“?“

Ich werde wahrheitsgemäss mein Unwissen zugeben. Ich weiss es nicht und das ist völlig in Ordnung. Zugegeben, für mich, die ich von klein auf gewohnt war, dass mir haargenau gesagt wurde, wie wir und die Welt anfangen und enden, war es sehr befremdlich als erste Zweifel kamen und plötzlich alles nicht mehr so leicht erklärbar war. Aber man gewöhnt sich daran. Tatsächlich lebt es sich gut mit dieser unbekannten Grösse und ich denke, dass es auch für die Kinder OK ist, die Welt nicht aufgewärmt, fixfertig und in mundgerechten Häppchen vorgesetzt zu bekommen.

„Warum ist für dich das Menschenbild der Bibel abwertend?“

Ich habe nirgends geschrieben, dass ich das Menschenbild der Bibel abwertend finde. Die Bibel ist ein Buch das mit und durch den Leser (Be)Deutung bekommt. Der Raum, den sie für Interpretationen lässt, wird so divers gefüllt, wie es Glaubensströmungen gibt. Wenn ich von einem abwertenden Menschenbild sprach, meinte ich damit die Tatsache, dass in der religiösen Gemeinschaft in der ich gross geworden bin, der Mensch grundsätzlich die Last der Erbsünde trägt, also „schlecht“ ist und zwingend Vergebung bedarf. Der Mensch scheint in erster Linie Sünder und darüber definiert, das empfinde ich als abwertend.

„Wie gehst du mit deinen Ängsten heute um?“

Was  ich heute an Ängsten verspüre, ist nicht mit den Ängsten von damals zu vergleichen. Ich fürchte was alle fürchten: Beim Verzehr von Kirschen aus Versehen auf einen Wurm zu beissen. Und ernsthaft: Ich verspüre die alltäglichen kleinen und grossen Ängste, mit denen man sich als Einzelperson und Eltern konfrontiert sieht. Keine der Ängste kann sich allerdings  auch nur annähernd zu derart existentieller Furcht manifestieren, wie ich das von früher kenne.

„Was ist das Ziel deines Lebens?“

Integrität.

„Wie feiert ihr Weihnachten?“

Mit Dekorationsminimalismus, besinnlichen Liedern, Geschichten (es kann auch mal die Weihnachtsgeschichte sein), Geschenken und Lichtern.

 

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