Heiliger Sankt Wahnsinn


Nach dem allenthalben von Lichterfesten und pleonastisch heiligen Sankt Martinen geschwärmt und dabei kräftig rumgeplüscht wurde, halte ich es für meine Aufgabe, dem unbedarft gutgläubigen kinderlosen Teil der Menschheit die Schattenseiten dieses Festes aufzuzeigen. Angefangen damit, dass das Fest, wie alle derartigen Feste, bestimmt einen irgendwie heidnischen Hintergrund hat, ist auch der Zeitpunkt denkbar schlecht gewählt. November! Für eine Veranstaltung die vorwiegend draußen stattfindet! Wie kurzsichtig ist das denn!? Natürlich wird auf sämtlichen Elternbriefen versprochen, dass das Ganze bei schlechtem Wetter nicht stattfindet. Darauf hofft man dann schon etwas, wenn man morgens aus der Tür tritt und der Wind neben Regen, Blättern auch Jungbäume und Nachbars Wäsche durch den Garten weht. Die Nummer für allfällige Unsicherheiten bezüglich Sattfindens erwägt man da gar nicht erst anzurufen, zu eindeutig scheint ein Ausfallen, und ein Durchkommen ist ohnehin aussichtslos, denn immerhin versuchen gerade ungefähr 50 Eltern dasselbe, gerne auch mehrmals, um ganz sicher zu sein. Irgendein übermotivierter Elternteil verschickt schließlich an alle anderen Eltern eine SMS mit einer fürchterlich witzigen Botschaft wie: „Juhu!!!! Das Lichterfest findet statt!!! Es gibt schließlich kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung ;-)))!!!“ Dann schiebt man den kurz aufkommenden Gedanken, den Kindern nichts davon zu erzählen aus Angst vor Krisen bei nachträglichem Erfahren als unmoralisch beiseite und beginnt damit die Brut einzuwickeln, sorgsam darauf achtend, dass die letzte Schicht irgendwie aus aus geruchsdichtem, feuerfestem Plastik besteht. Bleibt nur noch das Einpacken von Löschdecken und Schaumwerfern, bevor die letzte wegweisende Entscheidung ansteht: Die Lichterwahl. Es bleibt eine Entscheidung zwischen traurigen Naturpädagogenblicken und verdrehten Augen (iPhone im Taschenlampenmodus) oder multiplen Kinderkrisen (Wachskerzen, die ständig auslöschen). Schließlich packt man LED-Lichter in Kerzenform ein, für minimale Augenverdreher aber gegen Kindskrisen. Hat man schließlich zur wartenden Feiertruppe gefunden, verteilen die KiTapädagogen hektisch Wachskerzen an Lichtlose. Der oder die Ärmste unter ihnen hat den Auftrag gefasst, alle beleuchtet zu halten und rennt mit Feuerzeug von Laterne zu Laterne, von enttäuscht kreischenden Kleinkindern zu windverfluchenden Eltern. Dann wird des Loslaufbefehl gegeben, worauf die Kinder, weil sie eingepackt und steif, die Motorik von Pinguinen auf Landgang zeigen und alle paar Meter wieder aufgestellt werden müssen. Die Unglückliche, die zum Anstimmen der Lieder verdonnert wurde, zählt laut auf drei, worauf man in frei gewählter Tonlage eines der drei laternenlastigen Lieder anstimmt. Meist singen nach zwei Strophen sogar alle das selbe Lied. Dann marschiert man Richtung Feuer im Wald, was nicht so schwer ist, weil der nässebedingt grosszügig produzierte Rauch relativ wegweisend wirkt. Während die Eltern damit beschäftigt sind, keines ihrer Kleinkinder ins Feuer krabbeln zu lassen, wird ein weiteres Lied gesungen und danach zu Tee und Risotto geladen. Hungrige Kinde diktieren ihre Eltern in die Warteschlange und schmeißen derweil Tannenzapfen ins Feuer. Vor vollen Tellern bestreiten sie erst eine Runde dramatischste Aversionsbekundung, probieren dann doch etwas, verbrennen sich den Mund, brüllen weitere fünf Minuten das Essen an, dessen Temperatur sich binnen drei Minuten von zu heiß, zu ungenießbar kalt verändert und verweigern jede weitere Nahrungsaufnahme. Dann kommt der gemütliche Teil. Die Kinder verschwinden spielend im Wald, während die Eltern sich am Früchtetee laben, den sie heimlich mit etwas Schnaps anreichern. Dieser Teil dauert 7-9 Minuten, danach tauchen die ersten Kinder wieder auf, mit Fragen wie: „Wo ist Sofie?“ und „Ich glaube, ich habe Matteo im Wald verloren…“, worauf sich die Eltern verabschieden, suchend in die Büsche stürzen und, nach Kriterien wie Grösse, Gewicht und Kreischfrequenz, möglichst so viele Kinder einpacken, wie sie her gebracht haben. Allfällige Tauschgeschäfte aufgrund von Missverständnissen finden unter den nächsten Straßenlaternen statt. Danach ziehen als ermattet von dannen. 
Davon gibt es Fotos wie dieses hier:
Foto

5 Kommentare

Eingeordnet unter Elternsein, Neulich

5 Antworten zu “Heiliger Sankt Wahnsinn

  1. Bitte entschuldigen Sie die drastische Wortwahl, aber: Wie geil ist das denn?!

  2. Erwin

    Was? Kein gemeinschaftliches vorheriges Laternenbasteln? Kein Vollschmieren aller möglichen Gegenstände und Kinder mit Bastelkleber? Keine verzweifelte Suchen nach Käse-Rundschachteln, die noch einen Holzboden haben- Qualität des Käses egal? Keine Verletzungen durch Schere und andere Bastelwerkzeuge?
    Und, ganz wichtig, kein Abbrennen einer Laterne weil die Kerze innen drin umgefallen ist und der Wind das Feuer noch anbläst?
    Dann war das kein richtiges Sankt Martin :-)

  3. …und ich war bis eben traurig, dass ich am 11.11. unpässlich war ;-) danke für den bericht!

Hinterlasse eine Antwort zu gminggmangg Antwort abbrechen