Kurszyklen


Nun wissen Sie vermutlich alle, dass ich recht gern sortiere, sehr gern, um präziser zu sein, und als das Creaviva im Zentrum Paul Klee mit der Idee auf mich zu kam,  Kurse zu veranstalten, bei denen ich mich nicht nur sortierend ausleben, sondern gar sortiererisch missionieren könnte, war ich masslos begeistert. Ich stellte mir vor, wie ich das Gedankengut der Teilnehmer*innen mit Sortageideologiesamen infiltrieren und die Ideen quasi pandemisch verbreiten und ein Sortierumdenken ungeahnter Ausmasse in Bewegung setzten würde. Tägliches Umsortieren von Lebensmittelläden und Buchhandlungen aus reiner Freude am Sortieren unter wechselnden Kriterien, mit einer Konstante, dem Grundquadrat, würde zum allgemein anerkannten und goutierten Usus werden.  Im Supermarkt klänge das dann ungefähr so: 

„Wo finde ich denn die Bananen?“ 

„Heute haben wir nach Farben sortiert, Sie finden Bananen also, wenn Sie eher zu grüneren Früchten mit Reifungspotential greifen, zwischen dem Lauch und einigen Budget-Produkten. Ist Ihnen eher nach mittlerer Reife und Gelbheit, bitte ich Sie Zwischen Zitronen und den gelben Babysocken nachzusehen und, falls Sie zu denen gehören, die absolute Reife mögen, rate ich Ihnen, zwischen Kaffee und Schokolade nach den Früchten Ihrer Begierde zu suchen. Jetzt müssen Sie mich aber entschuldigen, ich bräuchte etwas Zeit meinen inneren Disput rund um die Platzierung dieses grün roten Apfels hier weiter zu führen.“

Selbstredend hätten die neuen Gewohnheiten auch Auswirkungen auf unser Anstehen an Kassen und Rumstehen auf Perrons. Die täglich neuen Sortagekriterienweisungen würden mit Freude befolgt, zwei Meter Abstand können ja mittlerweile die allermeisten, da fiele so ein bisschen Einstehen nach Alter, Grösse, Haarfarbe, Hautton, Kleidung oder BMI auch nicht mehr so ins Gewicht. Aber genug der Sortageallmachtsphantasien. Kurz: Ich willigte recht unmittelbar freudig ein, mit Kursteilnehmer*innen zu sortieren und suhlte mich intensiv in der Freude über diese Gelegenheit. Mindestens 10 Minuten lang. Dann wechselte ich nahtlos in einen Modus, den man eher als blanke Panik beschreiben und mit einigen Schweissausbrüchen hie, nagenden Selbstzweifeln da und der Frage, wie ich überhaupt auf den Hirnriss einer Zusage gekommen bin, zusammenfassen könnte. Um irgendwie mit dieser Gefühlslage umzugehen, wähle ich stets die naheliegendste Vorgehensweise: Ich überlege mir, welche potentiellen Schwierigkeiten auftauchen und mit welchen fehlgeleiteten Reaktionen meinerseits, ich die Situation weiter eskalieren lassen könnte. Beginnen wir bei der Begrüssung: Ich mag keinen Körperkontakt zu fremden Menschen, auch kein Händeschütteln, angefangen bei der asymmetrischen Abnützung durch die Tatsache, dass stets nur die rechte Hand gereicht wird, hinzu kommt, dass ich nie genau weiss, wie lang ich meine Hand hinhalten soll und dazu neige, sie zu früh und samt der daranhängenden Person zurückzuziehen, was zu potentiell noch mehr Körperkontakt und,  bei ganz unglücklicher Heranziehungsweise, Nasenbeinbrüchen führen könnte. Keine Ahnung wie es um meine Haftbarkeit bei beschädigten Kursteilnehmer*innen steht, sicherlich nicht ganz so schlimm, wie wenn ich ein Kleewerk malträtieren würde. Immerhin, aber schön wäre es aber sicherlich nicht. Nun gut, momentan haben wir Corona und selbst verbissenste Handschüttelfanatiker*innen halten sich zurück. Zu weiteren potentiell schwierigen Situationen könnte die Tatsache führen, dass unter Stress mein ohnehin miminmal ausgebildetes Körpergefühl gerne mal gänzlich flöten geht und ich und meine Gliedmassen zum linkischen Elefanten im Kunstmuseeum werden und uns stolpernd und schlackernd durch Zeit und Raum bewegen. Ich sehe mich also wohlwollend durch die wohlsortierten Sortagen der Teilnehmer*innen gehen, unabsichtlich gegen Schien- und Tischbeine treten, Sortagen zerwackeln und damit Vergeltungstritte und Nervenzusammenbrüche auslösen. Beschimpfungen, wüste Handgemenge, Polizeieinsätze, unsortierte Gefängniszellen, ein Graus. Oder aber, auch schlimm, ich würde beim Smalltalk wieder total abloosen und unangebrachte Themen einbringen, irgendjemanden unwissentlich beleidigen und Himmel, die mannigfaltigen Versagensmöglichkeiten! Nach eingehendem Durchdenken aller Eskalationsmöglichkeiten geht es mir tatsächlich oft etwas besser, immerhin weiss ich jetzt um einige Optionen, wie die ganze Kursgeschichte ausgehen könnte, wäre zumindest vorgewarnt und könnte vorsorglich Ersatzunterwäsche und Lektüre für meinen potentiellen Gefängnisaufenthalt mitnehmen. In nächsten Schritten bereite ich mich meistens darauf vor, mich auf den Kurs vorzubereiten. Ich schreibe also eine Liste von Dingen, die ich erledigen muss, bevor der Kurs beginnt. Dann prokrastiniere ich. Mit Hingabe. Ich finde tausendundeine Sache, die mich vom Beginn der Vorbereitungen abzuhalten vermögen, werde plötzlich reinlich und haushaltsversiert, ordne Bücher nach Farben, Gewürze nach Geruch und das Spielzeug der Kinder nach Alphabet. Dabei spielt es keine Rolle, dass ich dem Kursunterfangen grundsätzlich positiv gegenübergestellt bin, ja, wie geschildert, mit Freuden zusagte. Man nehme nur mal diesen Text. Bevor ich endlich damit begann, ihn zu schreiben, habe ich mein Würfeltattoo mit Kugelschreiber nachgezeichnet, 200 Gramm Sonnenblumenkerne von ihren Schalen befreit und gegessen, 3 Liter Zitronenwasser getrunken, den Hund auf Zecken untersucht, die Katzen auf Zecken untersucht, meine Zehennägel lackiert, eine Liste mit Begründungen dafür geschrieben, den Text endlich fertigzustellen, die Tür, die seit 6 Jahren darauf wartet gestrichen zu werden angeguckt, über Farbtöne nachgedacht und nicht gestrichen, mich über die Unterschiede verschiedener Mäusegattungen klug gelesen, diverse Krankheiten gegoogelt, mir ungefähr 25% davon sofort selber eingebildet und die Steuererklärung ausgefüllt. Dann habe ich den Text geschrieben. Ich brauchte etwa 30 Minuten. Danach geht es mir jeweils wieder etwas besser, denn den Rest der Zeit, bis etwa eine Woche vor dem Kurs, verbringe ich damit zu hoffen, dass sich nicht genügend Teilnehmer*innen anmelden. Das wäre schön. Beleidigend aber schön. In die nächste Sinneskrise führend, aber einfach. Und irgendwie demoralisierend, aber bequem. Und mein sämtliches Kunstschaffen in Frage stellend, aber entspannend. Und würde sich weiterleben danach überhaupt noch lohnen? Aber ja, dafür kann ich daheimbleiben, mir gerade so gut mein Grab schaufeln, aber ungestört. Danach bin ich froh, wenn der Kurs doch durchgeführt werden kann, habe aber deswegen einige weitere Krisen, die anhalten bis kurz bevor ich von zuhause aufbreche, um, in diesem Falle zum Zentrum Paul Klee zu fahren. Auf dem Weg dahin werde ich so aufgeregt, dass ich das Krisenschieben vergesse und mich allein darauf konzentriere, nicht zu hyperventilieren und nicht zu viel Angstschweiss zu produzieren. Die ersten 15 Kursminuten rede ich unheimlich schnell und unkontrolliert, zittere, ticke und habe die Reizfilterkapazitäten eines einlöchrigen Siebs. Dann kommt regelmässig das Unerwartetste: Die Kursteilnehmer*innen sind angenehm, ich kann gestellte Fragen adäquat beantworten, es entstehen inspirierende Sortagen und plötzlich kommt gar Spass an der Sache auf. Ich fahre sehr zufrieden nach Hause. Und vor dem nächsten Kurs beginne ich dann von vorne.

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Neulich

Kommentariat: