Kurszykeln zum Zweiten


Wenn ich mit meinem Zeitgefühl nicht völlig daneben liege, was in Anbetracht der Tatsache, dass meine Gefühle nur minimal treffsicher sind, durchaus zu bezweifeln ist, befinde ich mich nun im dritten Jahr am Creaviva. Von routineähnlichen Zuständen bin ich allerdings weiterhin weit entfernt, denn bisher habe ich den Teilnehmer:innen das Sortieren und visuell ansprechende Anordnen der Welt per Birchermüesli- und Gemüsesuppensortagen nähergebracht und damit einen Usus verkurst dessen Verbreitung in der Gesellschaft mir nur dienlich sein kann. Denn, es ist zu erahnen: Ich mag meine Welt sortiert. Die neuen Kursinhalte drehen sich allerdings um all die zufälligen Schönfindlingdinge die zu entdecken sind, wenn offenen Auges durch den Alltag spaziert wird. Damit meine ich Strukturen, wie Wände voller Bostitchklammern unterschiedlicher Verfärbungs-, Verrostungs- und Verkrümmungsgrade, die Strukturen aarean- und ausgeschwemmter alter Tierknochenstücke, Wasseroberflächenverformungsstrukturen bei perfekt gehochbogenem Rotiereinwurf von runden Kieselsteinen mittlerer Grösse und tiefverkratzte, meerverlebte Oberflächenstrukturen hochbejahrter, rostender Hafenpoller. Damit meine ich aber auch Schattenwürfe durch serbelnde Blattskelette, überlagerte Gitterroste, doppelbeleuchtete Wellengläser und gegenbelichtete Spinnennetze. Und, um bei meiner allerliebsten Kategorie zu enden, Reflexionen in allen Formen von Flüssigkeiten: Ich mach die Zeit unmittelbar nach starken Regengüssen, wenn das Draussen vertropft und verpfützt vor sich hin liegt und nur darauf wartet, dass ich mich nach Spiegelungen suchend um Geländer und Äste winde und winkeldivers um Pfützen rolle. Ich mag diese Freizeitbeschäftigung. Was ich weniger mag, ist wenn ich bei dieser Freizeitbeschäftigung gestört werde. Dabei meine ich nicht mal, dass ich ab und zu gefragt werde, was ich da tue, denn im Ignorieren von an mich gestellte Fragen und Aufmerksamkeitseinforderungen bin ich im Profibereich der Fähigkeitsklassen. Aber wenn ich gerade einen filigran gehochbogenem Rotiereinwurf mit rundem Kieselsteinen mittlerer Grösse getätigt habe und mir irgendsoein Arschschwan oder Schimmelküken in Flauschoptik in die hübsche Wasseroberflächenkreisstruktur schwimmt, liegt der Gedanke nicht fern, dass meiner Daunenendecke eigentlich gut ein bis zwei Ganzkörpervollpfostenvogelfedernvolumen mehr nicht schaden würde. Und damit kämen wir eigentlich auch schon zum Hauptproblem, das ich habe, wenn ich diesen visuell befriedigenden Usus des Strukur- und Reflexionssuchens jetzt nun verkurse. Denn anders als wenn Sie jetzt auch damit beginnen, die Welt etwas säuberlicher zu Sortieren bringt es mir nichts, wenn vor lauter Strukturliebendenzuwachs  die Schlange vor dem nächsten tiefverkratzten, meerverlebten hochbejahrten, rostenden Hafenpoller stundenlanges Anstehen erfordert, ich in Wassertropfen nur noch Reflexionen anderer Reflexionesinteressent:innen finde und Sie sich mir nun stapelweise vor Pfützen in meine Aussicht legen. Anderseits besteht wohl durchaus auch die Chance, dass eine gewisse Sensibilisierung zu achtsamerem Umgang mit Reflexionen führen könnte, oder mir der:die geneigte Wasseroberflächenkreisstruktur mit einem gezielten Steinwurf Arschwanenärger ersparen könnte. Zusammenfassend: Die Gefühlslage ist ambivalent, ich schwanke zwischen religiösem Missonierungseifer und verschwörerischem Geheimhaltungsdrang und dem Emotionssmoothie, dem ich mich vor jedem Kurs ausgesetzt sehe:

«Erst suhlte mich intensiv in der Freude über die Gelegenheit fürs Zentrum Paul Klee kursieren zu dürfen. Mindestens 10 Minuten lang. Dann wechselte ich nahtlos in einen Modus, den man eher als blanke Panik beschreiben und mit einigen Schweissausbrüchen hie, nagenden Selbstzweifeln da und der Frage, wie ich überhaupt auf den Hirnriss einer Zusage gekommen bin, zusammenfassen könnte. Um irgendwie mit dieser Gefühlslage umzugehen, wähle ich die naheliegendste Vorgehensweise: Ich überlege mir, welche potentiellen Schwierigkeiten auftauchen und mit welchen fehlgeleiteten Reaktionen meinerseits, ich die Situation weiter eskalieren lassen könnte. Beginnen wir bei der Begrüssung: Ich mag keinen Körperkontakt zu fremden Menschen, auch kein Händeschütteln, angefangen bei der asymmetrischen Abnützung durch die Tatsache, dass stets nur die rechte Hand gereicht wird, hinzukommt, dass ich nie genau weiss, wie lang ich meine Hand hinhalten soll und dazu neige, sie zu früh und samt der daranhängenden Person zurückzuziehen, was zu potentiell noch mehr Körperkontakt und bei ganz unglücklicher Heranziehungsweise zu Nasenbeinbrüchen führen könnte. Keine Ahnung wie es um meine Haftbarkeit bei beschädigten Kursteilnehmer:innen steht, sicherlich nicht ganz so schlimm, wie wenn ich ein Kleewerk malträtieren würde. Schön wäre es aber sicherlich nicht. Nun gut, jetzt, seit Corona halten sich selbst verbissenste Handschüttelfanatiker:innen zurück. Zu weiteren potentiell schwierigen Situationen könnte die Tatsache führen, dass unter Stress mein ohnehin miminmal ausgebildetes Körpergefühl gerne mal gänzlich flöten geht und ich und meine Gliedmassen zum linkischen Elefenaten im Kunstmuseeum werden und uns stolpernd und schlakernd durch Zeit und Raum bewegen. Ich sehe mich also wohlwollend durch die Reihen der Kursteilnehmer:innen gehen, wie sie da so sitzen und filigrane Strukturen mit filigranen Stiften auf filigrane Untergründe übertragen, ich sehe mich stolpernd an ein Tischbein stossen, Verwackelungen verursachen und damit Vergeltungstritte und Nervenzusammenbrüche auslösen. Beschimpfungen, wüste Handgemenge, Polizeieinsätze, unstrukturierte Gefängniszellen. Oder aber, auch schlimm, ich würde beim Smalltalk wieder total abloosen und unangebrachte Themen einbringen, irgendjemanden unwissentlich beleidigen… Mannigfaltige Versagensmöglichkeiten! Nach eingehendem Durchdenken aller Eskalationsmöglichkeiten geht es mir tatsächlich oft etwas besser, immerhin weiss ich jetzt von einigen Optionen, wie die ganze Kursgeschichte ausgehen könnte und wäre zumindest vorgewarnt. In nächsten Schritten bereite ich mich meistens darauf vor, mich auf den Kurs vorzubereiten. Ich schreibe also eine Liste von Dingen, die ich erledigen muss, bevor der Kurs beginnt. Dann prokrastiniere ich. Mit Hingabe. Ich finde tausendundeine Sache, die mich vom Beginn der Vorbereitungen abzuhalten vermögen, werde plötzlich reinlich und haushaltsversiert, ordne Bücher nach Farben, Gewürze nach Geruch und das Spielzeug der Kinder nach Alphabet. Dabei spielt es keine Rolle, dass ich dem Kursunterfangen grundsätzlich positiv gegenübergestellt bin, ja, wie geschildert, mit Freuden zusagte. Man nehme nur mal diesen Text. Bevor ich endlich damit begann, ihn zu schreiben, habe ich mein Würfeltattoo mit Kugelschreiber nachgezeichnet, 200 Gramm Sonnenblumenkerne von ihren Schalen befreit und gegessen, 3 Liter Zitronenwasser getrunken, den Hund auf Zecken untersucht, die Katzen auf Zecken untersucht, meine Zehennägel lackiert, eine Liste mit Begründungen dafür geschrieben, den Text endlich fertigzustellen, die Tür, die seit 6 Jahren darauf wartet gestrichen zu werden angeguckt, über Farbtöne nachgedacht und nicht gestrichen, einen Text über Untersuchung der Verformung der Wasseroberfläche durch die Verdrängungsströmung bei der Fahrt eines Schiffes auf seitlich beschränktem, flachem Fahrwasser, diverse Krankheiten gegoogelt, mir ungefähr 25% davon sofort selber eingebildet und die Steuererklärung ausgefüllt. Dann habe ich den Text geschrieben. Ich brauchte etwa 30 Minuten. Danach geht es mir jeweils wieder etwas besser, denn den Rest der Zeit, bis etwa eine Woche vor dem Kurs, verbringe ich damit zu hoffen, dass sich nicht genügend Teilnehmer:innen anmelden. Das wäre schön. Beleidigend aber schön. In die nächste Sinneskrise führend, aber einfach. Und irgendwie demoralisierend, aber bequem. Und mein sämtliches Kunstschaffen in Frage stellend, aber entspannend. Und würde sich weiterleben danach überhaupt noch lohnen, aber ja, dafür kann ich daheimbleiben, mir gerade so gut mein Grab schaufeln, aber ungestört. Interessiert ja eh keine:n. Danach bin ich froh, wenn der Kurs doch durchgeführt werden kann, habe aber deswegen einige weitere Krisen, die anhalten bis kurz bevor ich von zuhause aufbreche, um, in diesem Falle zum ZPK zu fahren. Auf dem Weg dahin werde ich so aufgeregt, dass ich das Krisenschieben vergesse und mich allein darauf konzentriere, nicht zu hyperventilieren und nicht zu viel Angstschweiss zu produzieren. Die ersten 15 Kursminuten rede ich unheimlich schnell und unkontrolliert, zittere, ticke und habe die Reizfilterkapazitäten eines einlöchrigen Siebs. Dann kommt regelmässig das Unerwartetste: Die Kursteilnehmer:innen sind angenehm, ich kann gestellte Fragen adäquat beantworten, es entstehen inspirierende Sortagen und plötzlich kommt gar Spass an der Sache auf. Ich fahre sehr zufrieden nach Hause. Und vor dem nächsten Kurs beginne ich dann von vorne.»

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Kurszyklen


Nun wissen Sie vermutlich alle, dass ich recht gern sortiere, sehr gern, um präziser zu sein, und als das Creaviva im Zentrum Paul Klee mit der Idee auf mich zu kam,  Kurse zu veranstalten, bei denen ich mich nicht nur sortierend ausleben, sondern gar sortiererisch missionieren könnte, war ich masslos begeistert. Ich stellte mir vor, wie ich das Gedankengut der Teilnehmer*innen mit Sortageideologiesamen infiltrieren und die Ideen quasi pandemisch verbreiten und ein Sortierumdenken ungeahnter Ausmasse in Bewegung setzten würde. Tägliches Umsortieren von Lebensmittelläden und Buchhandlungen aus reiner Freude am Sortieren unter wechselnden Kriterien, mit einer Konstante, dem Grundquadrat, würde zum allgemein anerkannten und goutierten Usus werden.  Im Supermarkt klänge das dann ungefähr so: 

„Wo finde ich denn die Bananen?“ 

„Heute haben wir nach Farben sortiert, Sie finden Bananen also, wenn Sie eher zu grüneren Früchten mit Reifungspotential greifen, zwischen dem Lauch und einigen Budget-Produkten. Ist Ihnen eher nach mittlerer Reife und Gelbheit, bitte ich Sie Zwischen Zitronen und den gelben Babysocken nachzusehen und, falls Sie zu denen gehören, die absolute Reife mögen, rate ich Ihnen, zwischen Kaffee und Schokolade nach den Früchten Ihrer Begierde zu suchen. Jetzt müssen Sie mich aber entschuldigen, ich bräuchte etwas Zeit meinen inneren Disput rund um die Platzierung dieses grün roten Apfels hier weiter zu führen.“

Selbstredend hätten die neuen Gewohnheiten auch Auswirkungen auf unser Anstehen an Kassen und Rumstehen auf Perrons. Die täglich neuen Sortagekriterienweisungen würden mit Freude befolgt, zwei Meter Abstand können ja mittlerweile die allermeisten, da fiele so ein bisschen Einstehen nach Alter, Grösse, Haarfarbe, Hautton, Kleidung oder BMI auch nicht mehr so ins Gewicht. Aber genug der Sortageallmachtsphantasien. Kurz: Ich willigte recht unmittelbar freudig ein, mit Kursteilnehmer*innen zu sortieren und suhlte mich intensiv in der Freude über diese Gelegenheit. Mindestens 10 Minuten lang. Dann wechselte ich nahtlos in einen Modus, den man eher als blanke Panik beschreiben und mit einigen Schweissausbrüchen hie, nagenden Selbstzweifeln da und der Frage, wie ich überhaupt auf den Hirnriss einer Zusage gekommen bin, zusammenfassen könnte. Um irgendwie mit dieser Gefühlslage umzugehen, wähle ich stets die naheliegendste Vorgehensweise: Ich überlege mir, welche potentiellen Schwierigkeiten auftauchen und mit welchen fehlgeleiteten Reaktionen meinerseits, ich die Situation weiter eskalieren lassen könnte. Beginnen wir bei der Begrüssung: Ich mag keinen Körperkontakt zu fremden Menschen, auch kein Händeschütteln, angefangen bei der asymmetrischen Abnützung durch die Tatsache, dass stets nur die rechte Hand gereicht wird, hinzu kommt, dass ich nie genau weiss, wie lang ich meine Hand hinhalten soll und dazu neige, sie zu früh und samt der daranhängenden Person zurückzuziehen, was zu potentiell noch mehr Körperkontakt und,  bei ganz unglücklicher Heranziehungsweise, Nasenbeinbrüchen führen könnte. Keine Ahnung wie es um meine Haftbarkeit bei beschädigten Kursteilnehmer*innen steht, sicherlich nicht ganz so schlimm, wie wenn ich ein Kleewerk malträtieren würde. Immerhin, aber schön wäre es aber sicherlich nicht. Nun gut, momentan haben wir Corona und selbst verbissenste Handschüttelfanatiker*innen halten sich zurück. Zu weiteren potentiell schwierigen Situationen könnte die Tatsache führen, dass unter Stress mein ohnehin miminmal ausgebildetes Körpergefühl gerne mal gänzlich flöten geht und ich und meine Gliedmassen zum linkischen Elefanten im Kunstmuseeum werden und uns stolpernd und schlackernd durch Zeit und Raum bewegen. Ich sehe mich also wohlwollend durch die wohlsortierten Sortagen der Teilnehmer*innen gehen, unabsichtlich gegen Schien- und Tischbeine treten, Sortagen zerwackeln und damit Vergeltungstritte und Nervenzusammenbrüche auslösen. Beschimpfungen, wüste Handgemenge, Polizeieinsätze, unsortierte Gefängniszellen, ein Graus. Oder aber, auch schlimm, ich würde beim Smalltalk wieder total abloosen und unangebrachte Themen einbringen, irgendjemanden unwissentlich beleidigen und Himmel, die mannigfaltigen Versagensmöglichkeiten! Nach eingehendem Durchdenken aller Eskalationsmöglichkeiten geht es mir tatsächlich oft etwas besser, immerhin weiss ich jetzt um einige Optionen, wie die ganze Kursgeschichte ausgehen könnte, wäre zumindest vorgewarnt und könnte vorsorglich Ersatzunterwäsche und Lektüre für meinen potentiellen Gefängnisaufenthalt mitnehmen. In nächsten Schritten bereite ich mich meistens darauf vor, mich auf den Kurs vorzubereiten. Ich schreibe also eine Liste von Dingen, die ich erledigen muss, bevor der Kurs beginnt. Dann prokrastiniere ich. Mit Hingabe. Ich finde tausendundeine Sache, die mich vom Beginn der Vorbereitungen abzuhalten vermögen, werde plötzlich reinlich und haushaltsversiert, ordne Bücher nach Farben, Gewürze nach Geruch und das Spielzeug der Kinder nach Alphabet. Dabei spielt es keine Rolle, dass ich dem Kursunterfangen grundsätzlich positiv gegenübergestellt bin, ja, wie geschildert, mit Freuden zusagte. Man nehme nur mal diesen Text. Bevor ich endlich damit begann, ihn zu schreiben, habe ich mein Würfeltattoo mit Kugelschreiber nachgezeichnet, 200 Gramm Sonnenblumenkerne von ihren Schalen befreit und gegessen, 3 Liter Zitronenwasser getrunken, den Hund auf Zecken untersucht, die Katzen auf Zecken untersucht, meine Zehennägel lackiert, eine Liste mit Begründungen dafür geschrieben, den Text endlich fertigzustellen, die Tür, die seit 6 Jahren darauf wartet gestrichen zu werden angeguckt, über Farbtöne nachgedacht und nicht gestrichen, mich über die Unterschiede verschiedener Mäusegattungen klug gelesen, diverse Krankheiten gegoogelt, mir ungefähr 25% davon sofort selber eingebildet und die Steuererklärung ausgefüllt. Dann habe ich den Text geschrieben. Ich brauchte etwa 30 Minuten. Danach geht es mir jeweils wieder etwas besser, denn den Rest der Zeit, bis etwa eine Woche vor dem Kurs, verbringe ich damit zu hoffen, dass sich nicht genügend Teilnehmer*innen anmelden. Das wäre schön. Beleidigend aber schön. In die nächste Sinneskrise führend, aber einfach. Und irgendwie demoralisierend, aber bequem. Und mein sämtliches Kunstschaffen in Frage stellend, aber entspannend. Und würde sich weiterleben danach überhaupt noch lohnen? Aber ja, dafür kann ich daheimbleiben, mir gerade so gut mein Grab schaufeln, aber ungestört. Danach bin ich froh, wenn der Kurs doch durchgeführt werden kann, habe aber deswegen einige weitere Krisen, die anhalten bis kurz bevor ich von zuhause aufbreche, um, in diesem Falle zum Zentrum Paul Klee zu fahren. Auf dem Weg dahin werde ich so aufgeregt, dass ich das Krisenschieben vergesse und mich allein darauf konzentriere, nicht zu hyperventilieren und nicht zu viel Angstschweiss zu produzieren. Die ersten 15 Kursminuten rede ich unheimlich schnell und unkontrolliert, zittere, ticke und habe die Reizfilterkapazitäten eines einlöchrigen Siebs. Dann kommt regelmässig das Unerwartetste: Die Kursteilnehmer*innen sind angenehm, ich kann gestellte Fragen adäquat beantworten, es entstehen inspirierende Sortagen und plötzlich kommt gar Spass an der Sache auf. Ich fahre sehr zufrieden nach Hause. Und vor dem nächsten Kurs beginne ich dann von vorne.

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Spinatwürfellutschen


Ich mag es, früh am Arbeitsort zu sein, wenn alles noch ruhig ist und ich, bis auf einen ebenfalls stets frühen Kollegen, alleine bin und Zeit genug zu haben, meine ganzen rituös gestalteten Vorbereitungen durchzuführen. Momentan gehören dazu folgende Punkte:

  1. Meine sämtlichen Schränke aufschliessen
  2. Abfalleimer mit Abfallsack bestücken
  3. Arbeitsmails abrufen, gegebenenfalls beantworten
  4. Mineralwasser aus der Vorratskammer holen
  5. Alle Wichtigkeiten bereitlegen: Schlüssel, Gehörschutz, Timer und Sterilium
  6. Hinsetzen, Therapiestunden bei einem Glas Wasser nochmal durchgehen, gegebenenfalls Arbeitspläne für Schüler*innen schreiben
  7. Potentielle Begegnungen und Konversationen planen
  8. Benötigtes Material, 1-Aktivität-pro-Kisten-weise bereitlegen
  9. 10 Minuten lang etwas Entspannendes am Smartphone tätigen (gerade ist das Türkischlernen)
  10. Auf Rundgang durch die Klassen Gewissheit holen, dass alle Therapiestunden wie geplant stattfinden und benötigte Materialien von niemand anderem gebraucht werden
  11. Restlich Zeit bis Schüler*innenankunft erneut Entspannung beim Türkischlernen

Kann ich all diese 11 Punkte zu meiner Zufriedenheit erledigen, stehen die Zeichen gut, dass ich verhältnismässig entspannt in den Tag starten kann. Jedenfalls bis zur ersten Krankenvertretung oder Schüler*innenkrankheitsmeldungen oder kaputte Sonnenmarkisen, die die Stunden von 13-15 Uhr zu einem relativ gleissend ermüdendem Ereignis machen, oder einem fehlenden Arbeitsgerät, das ungefragt abtransportiert wurde oder unangekündigten Hospitationsbesuchen. (Nicht bei mir, glücklicherweise, so weit sind meine Arbeitgeberinnen und Kolleg*innen meiner Voraussetzungen bewusst.) So weit so alltäglich.

Nun begab es sich aber, dass vor einigen Wochen meine Energiereserven schon bei Punkt 4 den käuflichen Desinfektionsmittelbeständen zu Coronazeiten glichen. Ich startete relativ unbedarft in den Tag, die Tagesstartriten zuhause konnte ich alle zu meiner vollsten Zufriedenheit ausführen, das Fahrrad benahm sich artgerecht, die Ampeln waren mit gnädiggrün gestimmt, kein*e Autofahrer*in schien es ernsthaft auf mein klägliches Abserbeln bedacht zu haben und, Sie werden mein Glück kaum fassen können, mein Lieblingsschlagloch lag als perfektpegelige Pfütze da uns spiegelte Sonnenaufgang und Plattenbauten. Randvoll mit Flauschhormonen erreichte ich also meinen Arbeitsplatz, nichtsahnend, dass mein Glück alsbald ein jähes Ende nehmen sollte. Ich war wirklich früh, Grünphase sei Dank, früher als mein stets ähnlich überfrühmotivierter Arbeitskollege. Innerlich frohlockend schloss ich also den Haupteingang auf, begab mich in mein Therapiezimmer und begann umgehend mit dem Abarbeiten obenstehender Vorbereitungspunkte. Ach, wie behände ich die Schränke aufschloss, wie anmutig meine Bewegungen beim Abfallsackschwingen! Einem grauschimmernden Drachengleich, schoss die Kunststofflichkeit durch die abgestandene Luft, passgenau in den formschönen Eimer. Sogar der Maileingang präsentierte sich augenweidern herrlich minimalistisch leer. Beschwingt trabte ich treppab in die noch dunkle Küche. Da ich den Lichtschalter nicht sofort fand, entschloss ich mich im Dunkeln in die Vorratskammer vorzutasten. Allzu schwer konnte das nicht sein, schliesslich kannte ich die Räumlichkeiten seit gut zwei Jahren und wie es sich für Küchen öffentlicher Institutionen gehört, stehen keine deplazierten Dinge lose und unerwartet im Raum rum. Beschwingt wie ich war, konnte mir die Dunkelheit wirklich nichts anhaben. Ich erreichte die Wasserkiste ohne weiteren Vorkommnisse und war gerade im Begriff zur Flasche zu greifen, als das Licht in der Küche anging. Dass ich das so in meinen Plänen nicht vorgesehen hatte, muss ich ja wohl nicht schreiben und wie immer, wenn Dinge passieren, mit denen ich gar nicht gerechnet habe, verfalle ich entweder in Starre oder fliehe. Fliehen war in dem Moment ausgeschlossen, denn bei der Vorratskammer handelt es sich um eine fensterlose Todesfalle, äh, Sackgasse und der einzige Weg raus führte durch die Küche, in der eine noch nicht identifizierte Person an der Kaffeemaschine tätig war. Ich hatte allerdings bei meinen Vorbereitungen gänzlich vernachlässigt, mich auf den Wortwechsel vorzubereiten, der auf eine derartige Situation folgen könnte. Schnell versuchte ich mir einige Gruss- und Geplänkeloptionen auszudenken, sowas wie „Hallo.“ und „Guten Morgen auch.“ und „Sorry, ich habe keine Geplänkelzeit, ich muss hoch und mich von deiner stressauslösenden Anwesenheit erholen.“. Gedankenordnungsbehindernd kam hinzu, dass ich mich fragte, ob mein Gegenüber mich vielleicht fragen würde, wieso ich hier im Dunkel rumwurstel und ob ein erwidertes „Faulheit.“ als das ausgelegt würde, was ich meinte, oder mein Gegenüber vielleicht regelmässig Faulheit mit Müdigkeit verwechselt und sich dann fragt, ob ich mich vielleicht regelmässig zum Schlafen in die Vorratskammer lege. Weiter würde der*die Unidentifizierte sich vielleicht zusammenreimen, dass ich die ganze Nacht hier verbracht habe, an Mineralwasserkisten gekuschelt, heimlich an gefrorenen Spinatwürfeln lutschend.  Der*die Unidentifizierte würde denken, ich sei obdachlos, würde mich mitfühlend umarmen, vielleicht eine kleine Spendenaktion starten. Regelmässsig würden mir selbstgemachte Aufläufe und Wollsocken ins Zimmer gelegt, man würde mir künftig mit extra viel Wärme, mitleidigem Blick und einfühlsamem Händeauflegen begegnen, Fegefeuer auf Erden, quasi. Nach mehreren multipel verstrickten Gedankengängen in den Abgründen pessimistischer Zukunfstmalereien wurde mir klar, dass ich mittlerweile das Zeitfenster überschritten hatte, in dem ich halbwegs würdevoll aus der Kammer hätte schreiten können und ich entschloss mich, einfach zu warten, bis der*die Unidentifizierte die Küche wieder verlässt. Ich wartete also im Dunkeln, exzessiv transpirierend und panisch, der*die Unidentifizierte könnte Mineralwasser- oder Spinatwürfelbedürfnisse hegen, in die Kammer treten und mich im einfallenden Strahl des Küchenlichts, stressbedingt wirres Zeug murmelnd, mit panischem Blick in der Ecke sitzend auffinden. Dann verliess der*die Unidentifizierte die Küche. Einfach so. So schnell und leise ich konnte begab ich mich zurück in mein Zimmer. Es ist nicht passiert. Eigentlich.

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Bruchkugelquadratur, ein Fehlversuch – 14


Den heutigen Tag habe ich hauptsächlich mit Bruchkugelquadratur verbracht, leider stellte sich heraus, dass das hauchdünne Kugelmaterial sich etwas zu sehr vom Klebstoff beeindrucken lässt und deswegen nicht sehr attraktive Ätzspuren die Optik versauen.

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Beliebtheitssteigerung – 13


Ich erkenne mir bekannte Menschen oft nicht, besonders, wenn sie in unerwartetem Kontext auftauchen. So auch heute:

Ich stehe an der Selberscanningkasse, froh, dass für einmal keine*r jener Unbegreifbaren vor mir einscannen, die zwar willentlich eine Selberscanningkasse ansteuerten, aber trotzdem gern jeden Artikel mit dem anwesenden Personal besprechen, auch kein übermotivierte Angestellten sind in Sicht, die mir mit nett gemeinten Smalltalkversuchen genau das nehmen, was ich mir von Sleberscanningkassen erhoffe, nämlich in Ruhe gelassen zu werden, perfekte Voraussetzungen also. Y: „Mama! Guck, da ist die Mutter von Moritz!“ Ich beschliesse so zu tun, als hätte ich meine Tochter nicht gehört, habe ich eigentlich auch nicht, die stellen die Piepstöne beim Scannen auch immer ohrenbetäubend laut ein. (Ja, wer ist eigentlich dafür verantwortlich? Und wieso?) Ausserdem gilt es den Restlärm einigermassen auszublenden und mich nicht vom Flackerlicht schräg rechts über mir ablenken zu lassen. Y. aber bleibt hartnäckig und wird lauter: „Mama! Mama! Guck, da ist die Mutter von Moritz!“ Ich sehe mich verstohlen um, das Stresslevel steigt, ah, ja, da steht eine Frau mittleren Alters relativ weit entfernt an einer Kasse mit Bedienung an, die Chance ist klein, dass sie uns hört, jedenfalls wenn Y. ihre Lautstärke nicht weiter erhöht. „Sei still, “ herrsche ich Y. nicht eben sehr freundlich an, „das interessiert mich nicht! Ich kann und WILL das nicht wissen! Ich kann jetzt keine Gespräche führen!“ Die selbereinscannende Frau an der Kasse direkt neben uns wirft mir seltsame Blicke zu. „Schönen Abend!“ murmelt sie und geht. „Schönen Abend, Mama von Moritz!“ ruft Y. ihr hinterher.

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