Monatsarchiv: August 2014

Hattusha – Ortahisar (Kappadokien) – Tasucu (Tage 42-44)


Relativ zeitig verlassen wir Ömürs Vorgarten, wir wollen heute ein gutes Stück Weg zurück legen. Bis nach Kappadokien wollen wir kommen und ahnen, dass die Einsamkeit auf den Stellplätzen damit ein Ende finden wird. Nicht nur Kappadokien verspricht sehr touristisch zu werden, auch was danach folgen wird, die türkische Mittelmeerküste, die Region zwischen Adana, Alanya und Antalya, ist nicht gerade für ihre Menschenleere bekannt. Wir sind gewappnet. Glauben wir.
Um nach Kappadokien zu gelangen durchqueren wir ein türkisches Landesinnern, wie ich mir das vorgestellt habe: Kleine Dörfer, weite, karge Landschaft, der Kargheit trotzende Olivenbäume, Ziegen- und Schafherden, gelangweilt an Strassenrändern stehende Esel, winkende Einheimische und, auch wenn die meisten Hirten mit Smartphones unterwegs sind, ein wenig Zeitreise in die Vergangenheit. Kurz vor Kappadokien wird die öde Schönheit etwas unspektakulärer, so also wolle man sicher gehen, dass mit der Einfahrt in Kappadokien jedem Besucher klar wird, weswegen die Gegend hier so anziehend wirkt. An spektakulärem mangelt es Kappadokien wahrlich nicht, das wird uns schon bei der Anfahrt klar, ebensowenig mangelt es an Menschen, die das ebenso sehen. Wir fahren den allenthalben empfohlenen Platz, etwas Abseits des Geschehens an und sind etwas erstaunt, wie erstaunlich wenig belegt er ist. Die Lage ist grandios, absolut unverbauter Blick über einige kleine Schluchten in den bekannten Formationen aus Tuff.
Von Platz aus mache ich, allein und mit Gassirunde verbunden, eine kleine Erkundungstour durch die nahen Schluchten, die Orientierungssinne ebenso zu schlucken scheinen, wie sämtliche Aussengeräusche. Zurückgeworfen auf meine eigenen Atemgeräusche, und die des Hundes, wird das Tufflabyrinth, mit all seinen Nischen und Höhlen, erstaunlich schnell zur psychischen Herausforderung. Jedenfalls für mich. Meine innere Comiczeichnerin mit Hang zur Dramatik malt farbenfrohe Zeichnungen meines darbenden Alter Ego. Charlotte rennt auf meinen Befehl, mich zurückzuführen erfreut los und bringt mir ein Stöckchen, das von Nahem betrachtet eher der Rippenbogen eines Huftieres ist. Ich lege ihn auf einen der Bäume, was den Hund dazu veranlasst, mir genervte Blicke zu zuwerfen. Plötzlich überkommt mich der Gedanke, dass ich im Hundevieh zumindest etwas Essbares dabei hätte und tätschle ihr versöhnlich den Kopf. Vielleicht hätte ich ihr den Knochen doch füttern sollen? Wir irren hin und her, der Hund ist überhaupt keine Hilfe, der will nur spielen und sucht Knochen. Als ich schliesslich einen Aufstieg finde und sogar den Gefährten in der Ferne sehe, kichere ich leicht hysterisch vor mich hin. Ein Heimkommen scheint möglich, auch wenn noch etwa drei Canyons vor uns liegen. Von nun an gehe ich systematisch vor: Runter, links, erste Möglichkeit rechts, hoch usw. Dieses Prinzip bringt uns so weit, dass nur noch ein Canyon zwischen uns und dem Gefährten liegt. Ich produziere gerade irgendeinen peinlichen Jubellaut, als ich hinter uns ein Bellen höre und drei gigantische Kangals auf uns zu rennen sehe. Erinnern sie sich an meine Hundeangst? So leicht angepanikt hundeängstigt es sich famos, sage ich Ihnen. Ich überlege irgendjemanden zu rufen, aber es ist niemand in Sicht. Ich überlege auf einen Baum zu klettern, aber hier wachsen nur kniehohe Reben. Ich sehe meine einzige Überlebenschance, und das meine ich durchaus wortwörtlich, denn meine Innere Comiczeichnerin hat schon weiter, sehr rotlastige Bilder angefertigt, darin, den Bestien Charlotte und einige Belohnungsleckerchen zum Frass vorzuwerfen und den geordneten Rückzug anzutreten. Ich überlass meinen Hund also seinem Schicksal, geh langsam und so breitbeinig und breitarmig als möglich zum nächsten Canyon und stürze mich ausser Sichtweite. Danach marschiere ich im Tal strammen Schrittes von dannen. Ich höre bis auf meine eigenen Schritte und die Schnappatmung nichts, klettere aber, als ich dem nächsten Olivenbaum begegne, sicherheitshalber mal hoch. Tatsächlich höre ich einige Minuten später hündisches Traben und überlege, wie hoch so ein Kangal springen kann und wie ich das mit Charotte meinen Kindern erkläre. Um die Tuffrundung biegt allerdings Charlotte. Ziemlich fröhlich, sei gesagt, als hätte sie gerade eine nette Spielstunde hinter sich. Genau so motiviert trabt sie nun zum Platz, ich hinterher. Ein netter Spaziergang in Kappadokien eben.

Jenseits der Dramatik seien folgenden Kappadokienbemerknisse festgehalten:

Kappadokien ist sehr touristisch, besonders wenn man von der Schwarzmeerküste kommt.
Kappadokien ist atemberaubend schön und divers.

Wer Heissluftballonfahren ganz doll mag, so sehr, dass er eigentlich gar nichts anderes sehen möchte, als andere Heissluftballone beim Fliegen, der sollte in Kappadokien mit dem Heissluftballon fliegen. (Unglaubliche Bilder, deren Präsentation hier an meiner Faulheit liegt, den Apparat zu zücken, als ich die umvorstellbar vielen Heissluftballone beim gleichzeitigen Start erblickte.)

Wenn Sie auch gerne Höhlen sehen, aber die grosse Tourostenmasse meiden möchten, besuchen sie die Zelve-Höhlen, auch wenn diese noch weniger restauriert und wohl noch nicht gänzlich freigelegt sind. Dafür können Sie auch mal ganz alleine in einer Höhle bleiben, gänzlich ohne anzustehen.

Kappadokien ist auch mit kleineren Kindern empfehlenswert. In Kombination mit den Höhlen und Felsen Zelves wandern auch Laufmuffel eine gute Stunde am Stück.

Den Rest betrachten Sie lieber auf den unzureichenden Fotos.

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Sinop – Hattusha (Tag 41)


Wir haben uns für heute viel vorgenommen, beispielsweise so um halb 10 los zu fahren. Dann haben uns die Platzdeutschen noch eingehend verabschiedet und uns massig wertvolle Tipps auf den Weg gegeben. Der Mann hat hier nicht nur 20 Jahre gelebt, sondern auch als Guide gearbeitet, kompetente Beratung also. Jedenfalls fuhren wir um 11 Uhr los.
Wir fahren von Sinop auf relativ schlechter Strasse direkt in die Berge und brauchen relativ lange um einige Kilometer zurückzulegen. Dafür ist die Strecke wunderschön, knapp 900 Höhenmeter machen wir in kurzer Zeit und gelangen von der fruchtbaren Gegend rund ums Schwarze Meer, direkt in alpin anmutendes Mittelhochgebirge. Die Landschaft ist geprägt von dunkeln Nadelbäumen, kargen, gelben Wiesen und atemberaubenden Ausblicken. Zu Bergfüssen liegen kleine, in positiven Sinne verlebte Dörfer und erinnern, von Zeit und Lage gezeichnet, an vergangene, archaischere Tage. Woran die Häuser und Höfe der Gegend ebenfalls erinnern, ist an die Zeit, als es die Schnellstrasse noch nicht gab und jeder, der diese Strecke befahren wollte, hier durch kam. Verwitterte Picknickschilder, verwaiste Tankstellen und stillgelegte Restaurants zeugen von früherem Zusatzverdienst an Durchreisenden.
Nach den luftigen Höhen pasieren wir einige unspektakuläre, aber weite Täler um zwischen Merzifon und Osmancik relativ plötzlich in eine andere Welt einzutauchen. Wir fahren durch weite Reisfelder in hellem Grün, umgeben von riesigen, dunkelgrauen Felsen in den bizarrsten Formen und Formationen und hübschen kleine Dörfern, die sich in Ton in Ton in schützenden Winkeln halten, während ihr Moscheen die farbenfrohsten sind, die ich bisher in der Türkei gesehen haben. Wahrlich eine Landschaft, die tiefen Eindruck hinterlässt.
Danach wird die Gegend, nach einer erneuten Berg und Talfahrt, wieder etwas unspektakulärer und vor allem karger. Hier finden wir wieder die langezogenen, gelbbraunen Felder, steinmauerumgeben, von Olivenbäumen gespickt, mit riesigen Schaf-, Ziegen- und Kuhherden, samt ihren Hirten und gigantischen Hütehunden.
Nach einem relativ langen, aber wunderbaren Fahrtag, den selbst die Kinder quengelfrei bewältigt haben, fahren wir in Hattusha ein, biegen zum erstbesten Hotel mit becamparem Hof ab und finden einen weiten, gut begrünten Garten vor, den wir als einzige in Anspruch nehmen. Das war früher anders, meint der Besitzer, vor den Unruhen war hier um diese Jahreszeit alles voll. Jetzt herrscht Flaute und Leere in den Kassen. Kaum eingerichtet, werden wir schon vom Nachbarn, aus dem gegenüberliegenden Haus an den Zaun gerufen. Einzutreten wagt er nicht, die Hunde angst… Er heisst Ömür, hat gerade in seinem Garten gerabeitet, und überreicht uns einen Korb voll von seinem Gemüse. Ein Willkommensgeschenk sei es, sagt er lachend und klopft mit seiner rechten Hand auf sein Herz, ein Zeichen der Verbundenheit. Ich danke gerührt, und packe den Schatz in unsere Gemüsekiste. Gurken, Tomaten, Auberginen, Zucchini, irgendeine grüne Peperoniart, kleine scharfe Peroncini und frische Minze. Ömür will uns zeigen, wo das Gemüse herkommt und führt uns in seinen wunderschönen, liebevoll gepflegten Garten. Hier zieht er nicht nur frisches Gemüse, sondern trocknet auch Geerntetes für den Winter. Er überreicht uns eine Handvoll getrockneter Tomaten, gegen deren Geschmackintensität die teuren getrockneten Tomaten, die wir in der Schweiz zu kaufen kriegen, nur fader Abklatsch sind. Ömür hat den grünen Daumen, soviel steht fest.

Bemerknisse

Sollte uns auf dieser Reise je eine spontane Hungersnot ereilen, würden wir von den Vorräten in den Kindersitzenritzen noch mindestens eine Woche überleben.

Äm nennt Charlotte liebevoll „meine Praktikantin“, die Konsequenz mit der das Kind tituliert, schafft relativ grenzwertige Konversationen. (Ausführungen sind hier wohl nicht nötig, ich traue Ihrer vorstellungskraft einiges zu.)

Ein GPS-Update kann unter Umständen rekativ wichtig sein. Jedenfalls führte Frau Fankhauser uns heute gern jenseits der befsetigten Strassen durch Nirgendwo und unbeirrbar in Sackgassen, wie beispielsweise diese geradewegs in den See führende Strasse.

 

 

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Aydincik – Abana – Sinop (Tage 39 – 40)


Am nächsten Tag wachen wir ziemlich früh auf. Wir stehen so direkt in der Sonne, dass der Gefährte zum Backofen wird und an Schlaf nicht mehr zu denken ist. Im Reiseführer lesen wir, dass wir uns eine Übernachtungsmöglichkeit bei Inebolu sichern sollten, weil da die einzigen Optionen vor Sinop liegen. Cide, das letzte grössere Dorf vor Inebolu, scheint, zumindest an de Küste, mit seiner zugepflasterten Promenade, der Strasse direkt dahinter und den anschliessenden, Appartementblocks, eher öd und lieblos. Weil wir Geld brauchen, fahren wir ins Zentrum der Stadt, das nicht direkt am Meer, sondern gut zwei Kilometer im Landesinnern liegt. Hier steppt dann doch der Bär und wir finden buntes Treiben und Leben. Das Finden eines funktionierenden Geldautomaten ähnelt einer Lotterie, und das nicht nur für mich, mit ausländischer Karte, nein, auch die Einheimischen sind ganz offensichtlich oft nicht erfolgreich beim Geldabheben, nehmen das aber meist gelassener als ich. Nach Cide wird die Strasse kurz und schottrig, bereits nach wenigen Kurven treffen wir auf den Schweizer der schon auf einem unsere Schlafplätze stand und die Besitzer des Platzes nachhaltig beeindruckt hat. Der Mann ist zu Fuss unterwegs, mit einem Fahrradanhänger, jetzt seit fünf Monaten von insgesamt sechs Jahren. Er wird bis nach Indien gehen und von da aus weiter, tut dies, neben auf der Hand liegenden Reisefreudegründen, auch um auf Kindesmissbrauch aufmerksam zu machen und würde hie und da gerne ein wenig gesponsert. Fortan denken wir bei jedem Anstieg, den der Gefährte nur in tiefen Gängen bewältigt, an den Mann zurück und an die Tatsache, dass er die Strecke geht. Gefälle hat die Strasse zu Hauf, ebenso wie Kurven, Verengungen, Schlaglöcher und Schotter, dafür ist die Landschaft eine der schönsten Küstenabschnitte, die ich je gesehen habe. Übernachtungsplätze hat es hier allerdings wirklich keine, wir hätten nicht mal die Gelegenheit für eine Nacht neben der Strasse zu parken, andere Strassen gibt es, bis auf einige Feldwege gen Ufer, nicht und wirklichen Zugang zum Meer findet man nur manchmal in den vereinzelten Dörfern, die wir durchfahren. Die Küste fällt felsig und Steil ins Meer ab, ist aber ansonsten gut begrünt, streckenweise mit Laubbäumen, dann wieder eher nadelbaumlastig. Die Dörfer befinden sich meist rund um Fluss- oder Bacheinmündungen ins Schwarze Meer, verfügen auch bei minimer Grösse über mindestens eine, eher zwei Moscheen und bestehen aus einfach betonierten Bauten, den schon früher erwähnten windschiefen Holzhäusern, hier sind noch sehr viele davon, einige gut erhalten, zu finden, und backsteinernen Häusern, mit ihren ungemein schönen Holzrahmenfenstern und -Türen. Auch hier sind die Männer, wenn nicht bei der Arbeit, in den Teestuben zu sehen, die Frauen, in farbenfroher, leichter aber weiter Kleidung bekopftucht miteinander redend, oder auch bei der Arbeit. Hier werden grosse Körbe voller Heu, Holz oder Früchte auf dem Rücken der Strasse entlang getragen, Kühe, Esel und Schafe getrieben, Haselnüsse geerntet und in den Dörfer die Ernte verkauft. Nach Inebolu werden die Strassen wieder breiter, die Dörfer wieder grösser und charmloser und die Landschaft wieder etwas ebener. Als wir das sehen bereuen wir, uns nicht einfach für eine Nacht an eine der Flusseinmündungen gestellt zu haben, fahren aber trotzdem weiter, bis nach Abana, wo wir den erstbesten Platz, direkt am Hafen nehmen und den Rest des Tages mit Bootsbeschau, Eisessen und Stranden verbringen. Trotz Kleinstadtnähe und Wochenende ist der Ellenlange Strand aus abgewetzten Kieseln praktisch leer. Es wird eine ruhige Nacht.
Am nächsten Morgen stehen wir wieder mitten in der Sonne, brechen wieder früh auf und haben eineinhalb Stunden später bereits Sinop, unser Zwischenstopp, bevor wir die Schwarzmeerküste verlassen und ins Landesinnere reisen, erreicht. Wir verbringen einen unspektakulären Badetag an nach wie vor erstaunlich (Hochsaison, Sonntag) menschenleerem Strand.

Bemerknisse

Wir haben seit 20 Jahren in der Türkei lebende Deutsche nach dem Mülltrennungssystem gefragt, weil wir immer ein kleinwenig schlechtes Gewissen haben, wenn wir alles in einen Beutel schmeissen. Seine Antwort: „Alles was in eine kleine Tüte passt, kommt in die rechte Tonne, alles was nicht in kleine Tüten passt in die linke Tonne und was du nicht zuordnen kannst, verteilst du am Strand.“ Gemessen an Gesehenem hat er recht. So macht das wohl auch der halbe Balkan.

Über kurz oder lang werden wir ein weiters Eregli passieren. Wir haben Angst. (Siehe vorletzter Artikel, Eregli, Krankenhaus und Co.)

Man bekommt hier Çay wenn man aufs Essen wartet, man bekommt Çay wenn man auf Wäsche wartet, man bekommt Çay wenn man auf den Mann wartet, wenn man auf das gewaschene Auto wartet, wenn man auf gekürzte Hosen wartet und seltsamerweise warte ich hier plötzlich irgendwie lieber.

Campende Türken mögen ihren Grill. Campende Türken mögen ihren Grill mittags und abends. Der Grill von campenden Türken kann echt viel Rauch. Der Grill von campenden Türken kann Rauch für 16 Fussballfelder. Campende Türken grillen aber neben ihren Zelten. Die Zelte von campenden Türken sind Dampfabzüge. In Zelten von campenden Türken passt Rauch für 16 Fussballfelder.

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Bartin – Çakra – Aydincik – Abana (Tage 36-38)


Von Bartin fahren wir einige Kilometer bis Amasra. Amasra wir allenthalben als eines der schönsten Schwarzmeerstädchen beworben, was zumindest die Anfahrt kaum bestätigt. Das Zentrum zeigt sich aber ganz charmant und wir beschliessen den Gefährten stehen zu lassen und die Stadt zu Fuss zu erkunden. Die Häuser bestehen überwiegend aus den gewohnt reizlosen Appartementblocks, aber nahe des schmucken Hafens mit einladender Uferpromenade sind durchaus noch einige ältere Holz- und Backsteinbaut

en zu finden, sowie eine hübsch in Stand gehaltene Brücke die samt Quartier dahinter zum UNESCO Weltkulturerbe gehört. Erhöht über dem Hafen trinken wir schliesslich unsere obligaten Çays und essen etwas Leichtes zu Mittag. Hier wie in allen besiedelten Gebieten ist der Umgang mit den Strassenhunden nicht ganz einfach. Diese sind sich zwar Menschen gewohnt und reagieren kaum auf sie, aber domestizierte Hunde scheinen ihnen oft eher suspekt, so dass es immer wieder zu offensichtlich aggressivem Verhalten kommt, das wir aber meist gut abblocken können. Zugegebenermassen nützen wir dabei die schlechten Erfahrungen, die alle Strassenhunde mit Menschen gemacht haben, aus, hampeln Drohgebärden vor oder heben in scheinbar böser Absicht Steine vom Boden auf. (Tatsächliche Gewaltausübung wird so gar nie nötig, die Hunde weichen allesamt zurück.) nur Äm und Y stehen jeweils fürchterliche Ängste um ihre Charlotte aus, schreien und kreischen, als würden sie selber angegriffen und rufen damit immer eine Horde türkischer Männer auf den Plan, die sich hilfsbereit auf die keifenden Hunde stürzen. Da Städte aber insgesamt für Hund und Kinder immer noch nicht wahnsinnig viel spannender wurden, verlassen wir Amasra wieder und fahren der Küste entlang weiter. Relativ hoch bewaldet kurven wir der Küstenstrasse entlang, Zugänge zum Meer gibt es, bedingt durch stark abfallende Steilhänge, nur vereinzelt in befahrbarer Form und so fahren wir einen verzeichneten Campingplatz an, der sogar am Meer liegen soll. Als wir in Çakra die entsprechende Abzweigung nehmen, schwant uns Böses. Wir haben hier mehrere Versuche unternommen zum Strand zu kommen, wenn man den hin kam, waren es meist überfüllte Strände mit Promenade, dahinter einfachste, ebenso überfüllte, schattenlose Zeltplätze. In Anbetracht der kindlichen Badebedürfnisse und unserer Erfüllungsversprechungen ist aber klar, dass wir den nächsten Platz nehmen müssen, wenn wir keinen erheblichen gefährteninternen Unruhen provozieren wollen. Das geschwante Böse bestätigt sich dann auch, in Form eines jungen Mannes, der uns anweist umzudrehen, weil der Strand, wohl hauptsächlich die zugeparkte Strasse, überfüllt sei. Grosses Geschrei auf der Rückbank, aber uns bleibt nichts anderes übrig. Kaum zwei Kilometer später entdecken wir ein Camping-Schild, folgen und finden zu einer kleinen, feinen Pension mit wunderbarem Garten und, halten Sie sich fest, kleiner, menschenleerer Badebucht. Y scheint gesund, wir stehen mit WLAN, gigantischer Aussicht und Badestrand in sicherem Hafen: Es wird wieder! Nachdem die Kinder im Bett sind, stossen wir an, auf Alles.
Nach ausgiebigem Morgenspaziergang brechen wir auf. Gerne wären wir länger geblieben, aber unser Bargeld reicht nicht für eine weitere Nacht. Einige Kilometer weiter fallen die Küsten nicht mehr ganz so steil ab und bereits nach relativ kurzer Fahrerei kommen wir an eine Bucht, die es uns auf Anhieb antut, am Ufer ein kleines Restaurant, sowie eine Café und Bademöglichkeit. Wir halten und treffen auf Ibrahim. Ibrahim hat schon in Deutschland gewohnt, früher, und spricht ein wenig Deutsch. Ihm gehört das kleine Café, das früher auch ein Fischrestaurant war, bevor die Verluste grösser wurden als die Gewinne. Ibrahim hat gar nichts dagegen, dass wir hier übernachten, er mag die Kinder, er mag den Hund und er will es uns angenehm machen. Es ist uns angenehm, nur durch hübsche Blumensträucher vom Meer getrennt, das sich hier eher wie ein See benimmt und still, glatt und grün vor uns liegt. Die Bucht ist umrundet von grossen, abgewetzten Steinen, dahinter Sträucher, Bäume, Felsen, visàvis steht ein andere Haus. Wir baden ausgiebig und lernen dabei eine junge Heimatbesucherin aus London und ihren Cousin kennen, die sich ungemein freut, dass wir hierher gefunden haben. Wir fragen rasch all unsere Fragen, die wir hier, aufgrund einer fehlenden gemeinsamen Sprache, niemandem Stellen konnten und baden uns neben dem Meer, auch einwenig in der Wohltat, uns barrierefrei mit jemandem unterhalten zu können. Am Abend essen wir Fisch im nahen Restaurant und stellen bei der Rückkehr fest, dass Ibrahim es sich zu seiner Aufgabe gemacht hat, unser Auto zu bewachen und erst nach unserer Rückkehr in in die nahegelegene Stadt Cide fahren wollte. Die Krankenhausnacht noch in den Knochen, beschliessen wir den Tag mit frühem Schlaf.

Bemerknisse

Türken die Angst vor Hunden, in unserem Falle Charlotte haben, nähern sich ihr mit Stock, den sie, wenn Viech ihnen zu nah kommt, drohend schwingen. Was bei Strassenhunden bestens funktioniert, ist für Charlotte eine Einladung zum Spiel.

Die meisten der kleinen Stell- und Campingplätze werden von Frauen geführt, während die Männer rauchend und teetrinkend rumsitzen, bis sie angewiesen werden, uns Strom zu bringen, eine Lampe zu basteln oder das Auto zu bewachen.

Es ist schwierig die türkische Hundeangst ernst zu nehmen, wenn gestandene Zweimeterriesen erst kreischend weghüpfen, wenn sie unerwarteterweise Charlotte begegnen, uns aber fünf Minuten später gerne ihren „absolut lieben“ Kangal vorführen möchten.

Sand klebt mit einer Konsequenz, von der sich noch mancher Kleber eine Scheibe abschneiden könnte.

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Akçakoca – Eregli – Bartin (Tage 34-35)


Wir haben kaum gefrühstückt, als der Platzbesetzer auch schon mit einem Mann im Schlepptau auf uns zukommt. Unser freundlicher Wirt hat uns einen Arzt organisiert, der nun Ys Bauch untersucht, auf Druck reagiert sie sehr sensibel, das haben wir zuvor bereits getestet, wie wir auch den Loslasstest auf Blinddarm durchgeführt haben. Nach ausgiebigem Drücken verschreibt der Arzt ihr drei verschiedene Medikamente. Wir bedanken uns und rufen die Kinderärztin unseres Vertrauens an. Zwei verschiedene Antibiotika und ein Verdauungsaufbaupräparat hat er uns verschrieben, wir entschliessen gemeinsam mit unserer Ärztin, Y vorerst nichts zu verabreichen und bei Verschlechterung oder all zu lang gleichem Zustand ein Spital anzufahren. Als wir losfahren, geht es Y nicht all zu schlecht, wir haben uns für heute keine lange Strecke vorgenommen, nur Küstenfahren bis zu einem netten Plätzchen. Wir passieren einige unattraktive Küstendörfer und -städte, von der Schönheit des letzten Streckenabschnittes ist nicht mehr viel zu sehen, denn obwohl landschaftlich nicht unattraktiv, bestehen die Siedlungen aus wenig schmucken Kotzappartementbauten und das gebiet scheint hier dichter besiedelt, als noch vor Akçakoca. Als wir in Eregli einfahren meint Herr G.: „Das ist keine Stadt zum Verweilen“ und wir suchen uns einen kleinen Überlandweg, der sich an der Küste hält, in der Hoffnung, hier schlafplatzfündig zu werden. Der Weg führt uns einige Kilometer bergauf und -ab, die Häuser werden weniger, bis wir schliesslich ganz aus den Dörfern finden. Wir können unser Glück auch kaum fassen, als sich uns schliesslich hinter einer Kurve der Blick über eine Bucht öffnet, die zwar nicht gänzlich menschenleer ist, aber neben einer keinen Çaystube mit Picknickmöglichkeiten nichts zu bieten hat. Wir fragen den Besitzer, ob wir hier stehen dürfen und beginnen uns nach der Zusage wohnlich einzurichten. Y hat keine Lust mehr, sich zu bewegen, ich drücke ihr nochmal an allen ominösen Stellen auf dem Bauch rum, als ich merke, dass sie gerade verstärkt auf das Loslassen reagiert. Mir wird etwas blümerant und ich melde Herrn G. meine Feststellung, worauf wir beginnen unsere Sachen wieder zusammenzupacken. Herr G.s Regadaumen kommt endlich zum Einsatz, wir klären ab, wie wir uns im Falle einer Blinddarmentzündigung und erforderlicher Operation verhalten sollen. Wir werden mit Kompetenz und Ruhe beraten, worauf wir das nächstgelegene Krankenhaus in einer Stadt mit Flugplatz anfahren, Eregli, wie hätte es anders sein können. Die Klinik, die wir vorfinden ist eine Privatklinik und wir schlucken erstmal leer, als wir zur Kasse gebeten werden, bevor man unser leidendes Kind überhaupt eines Blickes würdigt. Nach halbstündigem Warten werden wir zum Kinderarzt gebeten, dem ich alle Eckdaten in Kürze und mit Genauigkeit nenne und unseren Blinddarm-Verdacht unter kurze Erläuterungen verkünde. Zugegeben, geduldig bin ich nicht, nie, eigentlich, aber als der Arzt sich erst in aller Ruhe Ys Nase, Augen und Ohren (Gegen Fiebermessen habe ich selbstredend nichts einzuwenden) widmet, um sein Augenmerk erst dann endlich auf den Bauch zu konzentrieren um festzustellen: „Ich glaube, es könnte eine Blinddarmentzünding sein.“ und damit beginnt, uns das Krankheitsbild zu erläutern, ringe ich um meine Fassung. Es mag die Tatsache, dass hier niemand wirklich Deutsch, Französich, Italienisch, Spanisch oder zumindest einigermassen Englisch (der Arzt hat ein medizinisches, Aktiv, aber kaum allgemeines Passivvokabular) spricht, oder die Tatsache, dass ich hier niemandem in seiner Kompetenz vertraute, die Distanz zu Daheim, die anderen Sauberkeitsstandarts oder es ist die offensichtliche Selbstgefälligkeit unseres Arztes, der sich wohl nichts als Hochachtung und Bewunderung von den Eltern seiner Patienten gewöhnt ist, und bestimmt ist es die Angst um mein Kind, aber mit bleibt nichts, als aktive Zurückhaltung, um die Situation nicht durch Wut und fehlenden Anstand zu verschlimmern. Herr G, geistesgegenwärtig, ruft die Rega  auf den Plan und bittet den Arzt, „mit unseren Ärzten in der Schweiz“ Rücksprache zu halten, was zu einer sofortigen Veränderung des Verhalten unseres behandelnden Arztes führt. Jetzt geht alles schnell, Y wird zur Blutabnahme, Urinprobe und zum Ultraschall geschickt, alles wird zügig ausgewertet, zur Besprechung der Resultate werden wir zum Chefarzt geladen. Es gibt keinen eindeutigen Befund, der Blinddarm ist nicht ausgeschlossen, man will uns über Nacht hier behalten, Y intravenös Antibiotikum verabreichen. Wieder halten wir Rücksprache mit der Rega, die zuvor auch mit dem Chefarzt gesprochen haben, man empfiehlt uns hier zu bleiben. Wir werden sehr zuvorkommend behandelt, erhalten ein Einzelzimmer mit Ausziehsofa zugewiesen, aber eigentlich möchte ich jetzt nur eines: Heim. Y leidet, hat Schmerzen und genau so Heimweh und Äm leidet unsägliche Angst um ihre Schwester und schreit bei jeder Blutabnahme verzweifelt: „Aber macht Y nicht tot! Ich will nicht, dass Y stirbt!“, beruhigende Worte zeigen keine Wirkung. Herr G. muss in regelmässigen Abständen nach dem Hund sehen, den wir im Gefährten lassen mussten, was aber bei 30*C über längere Zeit unschöne Konsequenzen haben könnte. Auch die Nacht verbringt er mit Charlotte im Bus, während Äm mit mir und Y im Spital bleibt. Man gibt sich sichtlich Mühe, der Arzt sieht mitten in der Nach nochmal bei uns vorbei, alle halbe Stunde wird nach uns gesehen, irgendwann kommen sie auf die Idee, dass Röntgen noch angebracht sein könnte, worauf ich zwei schreiende Kinder drei Stockwerke nach unten trage, weil der Lift gerade streikt. Kurz: Es ist eine der beschissensten Nächte meines Lebens und ich bin endlos erleichtert, als Herr G. am Morgen wieder kommt und Y sichtlich lebendiger wirkt. Sie verspürt kaum noch Schmerzen, bewegt sich wieder, ja, legt für die Ärzte gar eine Hüpfeinlage ein. Die deutliche Besserung von Ys Zustand nach der Antibiotikumgabe, die Schmerzfreiheit, all dies spreche gegen eine Blinddarmentzündung und für die leicht erhöhten Entzündungswerte gibt man uns noch ein Antibiotikum auf den Weg, entlässt uns aber. Wieder sprechen wir mit der Rega, lassen uns beraten und tun, was wir ohne hin tun wollten: Ys rasche Genesung für sich sprechen lassen. Die hat ohnehin nur einen Wunsch: Sie will hier raus und nie mehr wiederkommen. Als wir den Gefährten erreichen, überschlägt sich der Hund beinah vor Freude. Wir fahren nicht weit, nur aus der Stadt hinaus, wir wollen den Hund laufen lassen, der nun seit gut 24 Stunden nur einige Schritte gehen durfte. Als Charlotte schliesslich losrennt, läuft Y einfach mit und mir einige Freudentränchen. Wir beschliessen etwas über 100 Kilometer an einen Platz zu fahren, der uns von reisenden Niederländern empfohlen wurde. Heute wollen wir nicht auf gut Glück suchen, sondern da hinfahren, wo wir mit Sicherheit einen Platz wissen. Über hüglig bis bergige Gebiete fahren wir schlussendlich die direkteste, wohl auch unspektakulärste Route, aber es fehlt uns ohnehin an Energie fürs Aufsaugen der Bilder. Der empfohlene Platz entpuppt sich als zeltüberstellte Wiese an zugemenschtem Strand und als so ziemlich das letzte, was wir jetzt brauchen. Niedergeschlagen entfernen wir uns wieder vom Meer, das hier aufgrund der geografischen Unebenheit nur punktuell angefahren werden kann. Etwas versteckt, eingebettet in hohe Bäume, sehen wir schliesslich eine Pension (Empfehlung!), geortet in einem der prachtvollen Ziegelsteinhäuser mit Grossen Holzfenstern, wie sie nur noch selten in derart gut restauriertem Zustand zu finden sind. Daneben eine grosse Wiese, Hühner, Enten, Ziegen und eine Omeletten backende Frau. Wir werden mit grosser Freude empfangen, sofort zum Essen geladen, selbstredend für die Nacht hier geduldet. Wir unterhalten uns noch eine Weile beim Çay über Gott und die Welt, wobei ich aber nicht sagen kann, in welcher Sprache das geschieht, wir brauchten hauptsächlich Hand und Fuss und fallen danach in tiefen, erholsamen Schlaf.

Bemerknisse
Sollte ich ungeplant ein drittes Kind, einen zweiten Hund oder eine Erstkatze bekommen, werde ich es, ihn, sie Rega nennen.

Sollte ich je zu einer eigenen Autokratie kommen, werde ich sie Rega nennen.

Sollte ich je eine Religion gründen, wird die Göttin Rega heissen.

Meine Autobiografietitel (https://gminggmangg.wordpress.com/2012/12/08/autobiografietitel-die-fortsetzung-8-dezember/) werden augenblicklich um „Ich und die Rega“ erweitert.

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