Relativ zeitig verlassen wir Ömürs Vorgarten, wir wollen heute ein gutes Stück Weg zurück legen. Bis nach Kappadokien wollen wir kommen und ahnen, dass die Einsamkeit auf den Stellplätzen damit ein Ende finden wird. Nicht nur Kappadokien verspricht sehr touristisch zu werden, auch was danach folgen wird, die türkische Mittelmeerküste, die Region zwischen Adana, Alanya und Antalya, ist nicht gerade für ihre Menschenleere bekannt. Wir sind gewappnet. Glauben wir.
Um nach Kappadokien zu gelangen durchqueren wir ein türkisches Landesinnern, wie ich mir das vorgestellt habe: Kleine Dörfer, weite, karge Landschaft, der Kargheit trotzende Olivenbäume, Ziegen- und Schafherden, gelangweilt an Strassenrändern stehende Esel, winkende Einheimische und, auch wenn die meisten Hirten mit Smartphones unterwegs sind, ein wenig Zeitreise in die Vergangenheit. Kurz vor Kappadokien wird die öde Schönheit etwas unspektakulärer, so also wolle man sicher gehen, dass mit der Einfahrt in Kappadokien jedem Besucher klar wird, weswegen die Gegend hier so anziehend wirkt. An spektakulärem mangelt es Kappadokien wahrlich nicht, das wird uns schon bei der Anfahrt klar, ebensowenig mangelt es an Menschen, die das ebenso sehen. Wir fahren den allenthalben empfohlenen Platz, etwas Abseits des Geschehens an und sind etwas erstaunt, wie erstaunlich wenig belegt er ist. Die Lage ist grandios, absolut unverbauter Blick über einige kleine Schluchten in den bekannten Formationen aus Tuff.
Von Platz aus mache ich, allein und mit Gassirunde verbunden, eine kleine Erkundungstour durch die nahen Schluchten, die Orientierungssinne ebenso zu schlucken scheinen, wie sämtliche Aussengeräusche. Zurückgeworfen auf meine eigenen Atemgeräusche, und die des Hundes, wird das Tufflabyrinth, mit all seinen Nischen und Höhlen, erstaunlich schnell zur psychischen Herausforderung. Jedenfalls für mich. Meine innere Comiczeichnerin mit Hang zur Dramatik malt farbenfrohe Zeichnungen meines darbenden Alter Ego. Charlotte rennt auf meinen Befehl, mich zurückzuführen erfreut los und bringt mir ein Stöckchen, das von Nahem betrachtet eher der Rippenbogen eines Huftieres ist. Ich lege ihn auf einen der Bäume, was den Hund dazu veranlasst, mir genervte Blicke zu zuwerfen. Plötzlich überkommt mich der Gedanke, dass ich im Hundevieh zumindest etwas Essbares dabei hätte und tätschle ihr versöhnlich den Kopf. Vielleicht hätte ich ihr den Knochen doch füttern sollen? Wir irren hin und her, der Hund ist überhaupt keine Hilfe, der will nur spielen und sucht Knochen. Als ich schliesslich einen Aufstieg finde und sogar den Gefährten in der Ferne sehe, kichere ich leicht hysterisch vor mich hin. Ein Heimkommen scheint möglich, auch wenn noch etwa drei Canyons vor uns liegen. Von nun an gehe ich systematisch vor: Runter, links, erste Möglichkeit rechts, hoch usw. Dieses Prinzip bringt uns so weit, dass nur noch ein Canyon zwischen uns und dem Gefährten liegt. Ich produziere gerade irgendeinen peinlichen Jubellaut, als ich hinter uns ein Bellen höre und drei gigantische Kangals auf uns zu rennen sehe. Erinnern sie sich an meine Hundeangst? So leicht angepanikt hundeängstigt es sich famos, sage ich Ihnen. Ich überlege irgendjemanden zu rufen, aber es ist niemand in Sicht. Ich überlege auf einen Baum zu klettern, aber hier wachsen nur kniehohe Reben. Ich sehe meine einzige Überlebenschance, und das meine ich durchaus wortwörtlich, denn meine Innere Comiczeichnerin hat schon weiter, sehr rotlastige Bilder angefertigt, darin, den Bestien Charlotte und einige Belohnungsleckerchen zum Frass vorzuwerfen und den geordneten Rückzug anzutreten. Ich überlass meinen Hund also seinem Schicksal, geh langsam und so breitbeinig und breitarmig als möglich zum nächsten Canyon und stürze mich ausser Sichtweite. Danach marschiere ich im Tal strammen Schrittes von dannen. Ich höre bis auf meine eigenen Schritte und die Schnappatmung nichts, klettere aber, als ich dem nächsten Olivenbaum begegne, sicherheitshalber mal hoch. Tatsächlich höre ich einige Minuten später hündisches Traben und überlege, wie hoch so ein Kangal springen kann und wie ich das mit Charotte meinen Kindern erkläre. Um die Tuffrundung biegt allerdings Charlotte. Ziemlich fröhlich, sei gesagt, als hätte sie gerade eine nette Spielstunde hinter sich. Genau so motiviert trabt sie nun zum Platz, ich hinterher. Ein netter Spaziergang in Kappadokien eben.
Jenseits der Dramatik seien folgenden Kappadokienbemerknisse festgehalten:
Kappadokien ist sehr touristisch, besonders wenn man von der Schwarzmeerküste kommt.
Kappadokien ist atemberaubend schön und divers.
Wer Heissluftballonfahren ganz doll mag, so sehr, dass er eigentlich gar nichts anderes sehen möchte, als andere Heissluftballone beim Fliegen, der sollte in Kappadokien mit dem Heissluftballon fliegen. (Unglaubliche Bilder, deren Präsentation hier an meiner Faulheit liegt, den Apparat zu zücken, als ich die umvorstellbar vielen Heissluftballone beim gleichzeitigen Start erblickte.)
Wenn Sie auch gerne Höhlen sehen, aber die grosse Tourostenmasse meiden möchten, besuchen sie die Zelve-Höhlen, auch wenn diese noch weniger restauriert und wohl noch nicht gänzlich freigelegt sind. Dafür können Sie auch mal ganz alleine in einer Höhle bleiben, gänzlich ohne anzustehen.
Kappadokien ist auch mit kleineren Kindern empfehlenswert. In Kombination mit den Höhlen und Felsen Zelves wandern auch Laufmuffel eine gute Stunde am Stück.
Den Rest betrachten Sie lieber auf den unzureichenden Fotos.